■ Serbien: Behörden verhaften einen Muslimrepräsentanten: Die großserbische Illusion
Das Abkommen von Dayton und der Militäreinsatz der Nato haben die westliche Öffentlichkeit eingelullt. Liebend gern möchte sie nämlich glauben, daß die Probleme auf dem Balkan gebannt sind. Das ist jedoch falsch. Mehr und mehr rückt nämlich Serbien selbst ins Zentrum des Geschehens. Serbien wird der Unruheherd der nächsten Jahre sein.
Ob nun die buddhistische Denkweise recht behält, alle bösen Taten schlügen irgendwann auf den Urheber zurück, sei dahingestellt. Die Erfahrung jedoch, daß ein sich über andere Völker erhebender Nationalismus letztendlich der eigenen Nation schadet, hat nicht nur das deutsche Volk gemacht. Jetzt müssen die Serben diese Lektion lernen. Die Befürchtung eines Tankwarts aus der südserbischen Stadt Niš nämlich, daß Großserbien wohl bald sehr klein sein würde, teilen heute schon viele Menschen im Machtbereich von Slobodan Milošević: Eine Vereinigung der serbischen Gebiete in Bosnien-Herzegowina mit Serbien wird es nicht geben. Der Kosovo mit seinen zwei Millionen Albanern ist für Serbien auf Dauer nicht zu halten. Die Bewohner des muslimisch dominierten Sandžak wollen Autonomie. Und selbst die montenegrinischen Brüder wollen so schnell wie möglich raus aus dem Milošević-Staat.
Der Mann hat mit seiner Analyse recht. Mit der Verhaftung des muslimischen Repräsentanten des Sandžak, Sulejman Ugljanin, demonstrieren die serbischen Behörden nichts als Hilflosigkeit. Auch die Verurteilung Ugljanins wegen „Sezessionsbestrebungen“ und „feindseliger Handlungen gegen den Staat“ ändert daran nichts. Damit ist die Forderung von 300.000 muslimischen Bewohnern dieses zwischen Serbien und Montenegro liegenden Landstreifens nach Autonomie nicht vom Tisch.
Die radikale, von Serbien 1991/92 durchgesetzte „militärische Lösung“ mag noch im Massenmord von Srebrenica 1995 wiederholbar gewesen sein. Angesichts der Truppenpräsenz der Nato und der neuformulierten US-Politik auf dem Balkan ist sie dies für den heutigen Sandžak nicht. So bliebe nur der demokratische Ausgleich in einem die Minderheitenrechte respektierenden Vielvölkerstaat Serbien. Aber zu dieser Lösung sind die Mehrheit der serbischen Gesellschaft und ihre Machthaber noch nicht bereit. Milošević hat ja gerade erst den Präsidentenstuhl Serbiens mit dem Jugoslawiens vertauscht. Bleibt aber alles beim alten, könnte sich die Prophezeiung des Tankwarts von Niš schon schneller verwirklichen, als es manchen lieb ist. Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen