Sensibilität für Klimagerechtigkeit: „Alle, nicht nur die linke Bubble“
Dem Berliner Kipppunkt Kollektiv geht es in seiner Bildungsarbeit um Klimagerechtigkeit, da spielt auch die Systemfrage eine Rolle.
taz: Herr Asal, Sie sind Mitglied des Kipppunkt Kollektivs, was wollen Sie denn zum Kippen bringen?
Jonas Asal: Die Klimaungerechtigkeit …
… unter diesem Schlagwort versammeln sich meist diejenigen der Umweltbewegungen, für die die Klimakrise mehr als nur ein Umweltproblem ist …
… genau, denn es braucht einen Systemwandel. Eine sozial-ökologische Transformation, denn die Klimakrise ist auch eine Gerechtigkeitskrise: Drei Viertel aller Emissionen, die je gemessen wurden, verantwortet der globale Norden. Der globale Süden ist jedoch stärker betroffen und kann sich weniger vor Dürren und Wirbelstürmen schützen. Das ist nur einer der Aspekte – wenn auch wahrscheinlich der bekannteste – der Klimagerechtigkeit und unserer Bildungsarbeit.
26, ist Mitglied des Kipppunkt Kollektivs, das Bildungsangebote zu Klimagerechtigkeit anbietet.
Dazu bieten Sie seit Januar Seminare an – so wie an diesem Wochenende, an dem Sie mit jungen Berliner*innen den Fragen nachgehen wollen, wer welche Privilegien genießt und was jede*r selbst gegen die Klimakrise tun kann. Verraten Sie uns schon ein paar Antworten?
Anhand der Fragen, wer die Klimakrise verursacht, wer betroffen und wer an politischen Lösungen beteiligt ist, diskutieren wir nicht nur Probleme, sondern erarbeiten auch gemeinsam gerechte Antworten. Als Bildungskollektiv bieten wir Räume, um Menschen zu empowern und selbst aktiv zu werden. Wichtig ist uns auch, über Rassismus, Klassismus und Sexismus zu sprechen. Beispielsweise verursachen Menschen mit geringerem Einkommen weniger Emissionen hier in Deutschland, sind aber gleichzeitig stärker von Umweltbelastungen wie etwa Verkehrsemissionen oder Fluglärm betroffen. Übergeordnet fokussieren wir mögliche Kipppunkte unseres Ökosystems …
… Kipppunkte, wie schmelzende Permafrostböden?
Genau, die momentan übrigens schneller schmelzen als gedacht und ab einem bestimmten Zeitpunkt sehr viel Methan freisetzen werden können. Das kann wiederum gefährliche Schneeballeffekte auslösen und das Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen. Diese Kipppunkte haben noch nicht die Bekanntheit, die sie verdienen. Das müssen sie aber, wenn das 1,5-Grad-Ziel eingehalten und die Erde vor dem Kollaps gerettet werden soll.
Das ist jetzt weniger die individuelle Ebene von Privilegien und was wer tun kann. Es geht also nicht darum, dass Hafer- statt Kuhmilch getrunken werden soll?
Sicherlich braucht es auch eine individuelle Lebenswende, aber es ist problematisch, wenn man sich darauf beschränkt. Wir sensibilisieren in unseren Workshops dafür, dass es einen strukturellen Wandel braucht.
Es geht also um das große Ganze und den Übeltäter Kapitalismus?
Die Systemfrage spielt in unserer Bildungsarbeit eine große Rolle. Wir orientieren uns dabei an dem altbekannten Motto der Klimagerechtigkeitsbewegung: „System Change, Not Climate Change“. Wir behandeln die Effekte des Wachstumsparadigmas, aber häufig ist es nicht hilfreich, mit solchen riesigen Begriffen wie Kapitalismus um sich zu schlagen, unter denen viele etwas Verschiedenes verstehen. Wir wollen alle erreichen und nicht nur eine linke Bubble.
An wen richten sich Ihre Bildungsangebote?
Bisher haben wir vor allem mit jungen Leuten, die beispielsweise Freiwilligendienst leisten, zusammengearbeitet. Das Seminar an diesem Wochenende findet auf die Initiative der BUND-Jugend Berlin mit einer Gruppe an Leuten, von denen die meisten Anfang 20 sind, statt. Aber wir wollen uns an alle richten – auch an Ältere.
Wer steckt hinter dem Kipppunkt Kollektiv?
Wir sind 14 Leute, wovon viele aus der Klimagerechtigkeitsbewegung kommen und bisher zum Beispiel Klima-Camps organisiert haben. Manche von uns arbeiten schon länger im Bildungsbereich zu Klimathemen. Wir sind eine junge Gruppe zwischen Anfang 20 und Ende 30 und sind vor rund 1,5 Jahren auf die Idee für das Kollektiv gekommen. Seit Anfang Januar bieten wir vermehrt Bildungsangebote an und finanzieren uns durch Fördergelder und Spenden, die wir bei Seminaren einnehmen. Wobei wir versuchen, dass uns das Geld nicht zu viel lenkt.
Wie das?
Wir arbeiten teilweise ehrenamtlich und auf Honorarbasis. Manche Seminare bringen mehr Geld, andere, auf die wir besonders Lust haben, jedoch weniger. Hier versuchen wir einen Ausgleich zu schaffen. Auch innerhalb des Kollektivs versuchen wir eine solidarische Ökonomie umzusetzen.
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