: Seniorenstreit in Ankara
Der Streit zwischen Sezer und Ecevit droht die Türkeiin eine schwere Wirtschaftskrise zu stürzen
ISTANBUL taz ■ Was als Streit zweier alter Männer begann, droht die Türkei erneut in eine schwere Wirtschaftskrise zu stürzen. Ginge es nicht um den Staatspräsidenten und den Ministerpräsidenten, wäre es nicht mehr als eine Beziehungskrise ehemaliger Freunde. Stattdessen sah es gestern in Ankara über Stunden so aus, als würde die Regierung zurücktreten. Am Morgen war der Nationale Sicherheitsrat unter dem Vorsitz von Staatspräsident Sezer zusammengetreten, um das türkische nationale EU-Programm zu diskutieren. Dazu kam es aber dann gar nicht. Gleich zu Beginn warf Sezer Ministerpräsident Ecevit vor, die Regierung gehe nicht konsequent gegen den Korruptionsverdacht in den eigenen Reihen vor. Daraufhin beschuldigte Özkan, Stellvertreter Ecevits und eigentlicher starker Mann der Regierung, den Präsidenten, sich öffentlich aufzuspielen und sich in Sachen einzumischen, die ihn nichts angingen. Sezer forderte daraufhin den Rücktritt mehrerer Minister, worauf Ecevit wutentbrannt die Sitzung verließ.
Der Eklat war kaum ruchbar geworden, da stürzte die Istanbuler Börse bereits ab. Die Türkei befindet sich zurzeit in einer extrem schwierigen wirtschaftlichen Situation, weil der Weltwährungsfonds ein Reformprogramm durchgesetzt hat, das nun von Ecevit umgesetzt werden muss. Jede Instabilität wäre tödlich, ein Regierungsrücktritt hätte deshalb unabsehbare ökonomische Folgen. Bereits das Gerücht über einen Rücktritt versetzte die internationalen Finanzmärkte in Aufruhr. Innerhalb von Stunden wurden über 4 Milliarden Dollar abgezogen. Ecevit versuchte am Nachmittag die Märkte wieder zu beruhigen und dementierte alle Rücktrittsabsichten. Gleichwohl ist völlig ungeklärt, wie die Krise gelöst werden soll. Die Beziehung zwischen Präsident und Regierung ist heillos zerrüttet, eine Zusammenarbeit ist aber verfassungsrechtlich unumgänglich. Einer von beiden, so der Tenor der meisten Kommentatoren, muss gehen. Präsident Sezer kann aber auf legalem Weg kaum zum Rücktritt gezwungen werden. JG
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