Senat: Sozis auf dem Wellness-Trip
Trotz S-Bahn- und Flughafen-Desaster verbringt die SPD eine geruhsame Klausur an der Ostsee. Ein Königsmörder ist nicht in Sicht.
![](https://taz.de/picture/174808/14/36sa129wow865.jpeg)
Personalentwicklung. Kitas. Deutsch-polnische Wirtschaftsbeziehungen. All das steht auf der Tagesordnung, als die SPD-Fraktion am Wochenende zur Klausurtagung an der polnischen Ostseeküste zusammenkommt. Die zentralen Fragen aber sind: wie weiter mit Klaus Wowereit, dem Flughafen und der S-Bahn? Und wie geht man in Klausur mit vielen spätabendlichen Journalistengesprächen, direkt nach dem Aufsehen erregenden Artikel über den mutmaßlichen Sexismus von FDP-Spitzenmann Rainer Brüderle, eben bei spätabendlichen Journalistengesprächen?
Die Fragezeichen hinter Flughafen und S-Bahn bleiben auch nach der Klausur. Das bei Wowereit ist jedoch kleiner geworden. Weder von Abdanken noch von Sturz ist die Rede. Stattdessen wünscht sich mancher sogar, dass er bei der Wahl 2016 wieder antritt.
„Der Aufsteiger“ steht über einem Zeitungsartikel, für dessen Lektüre mancher Abgeordnete die vierstündige Busfahrt in die nordpolnische Hafenstadt Kołobrzeg nutzte. Um Raed Saleh ging es, der es vom Einwandererkind zum Fraktionschef gebracht hat. Viele meinten zuletzt, dass Saleh weiter aufsteigen und Wowereit als Regierenden Bürgermeister ablösen will. Weil die beiden gemeinsam mit Landesparteichef Jan Stöß jüngst ein SPD-Strategiepapier präsentierten, war sogar von einer neuen Augenhöhe die Rede. Aus der bisherigen Alleinherrschaft Wowereits sei eine Dreierherrschaft geworden. Triumvirat hieß so etwas im alten Rom, das erste bildeten Cäsar, Pompejus und Crassus – was zum einen in einen Bürgerkrieg führte und zum anderen keinen der drei glücklich enden ließ: Sie wurden umgebracht.
Spöttische Blicke für Saleh
Das Bild am Wochenende in Kołobrzeg ist aber nicht das eines Mehrgestirns. Zwar zieht Wowereit sich mit Saleh, Stöß und Verkehrssenator Michael Müller zurück, um über die Probleme bei der S-Bahn zu sprechen – ein Gerichtsspruch hatte vergangene Woche die seit Juni laufende Ausschreibung für den künftigen Betrieb infrage gestellt, weil der Senat sie zu kompliziert gestaltet habe.
Doch in kleinem Kreis an einem Tisch zu sitzen, das bedeutet noch längst nicht Augenhöhe. Denn wer Abgeordnete nach Salehs Ambitionen fragt, der erntet mal einen spöttischen Blick, mal eine beredte Aufklärung darüber, warum es keine Alternative zu Wowereit gebe. Von kurzfristiger Ablösung nach der Bundestagswahl im Herbst ist nichts zu hören. Wowereit selbst hat längst angekündigt, bis 2016 im Amt zu bleiben.
Saleh hat ein gutes Gefühl für die Stimmung in der Fraktion und betont auch in Kołobrzeg Solidarität und Stabilität. Er weiß, dass Königsmörder wie im Falle Cäsar oft ein böses Ende nehmen. Er ist nicht unter Zeitdruck, den Regierenden wegzustoßen. Saleh ist 35, Wowereit 59, er kann warten, bis der von allein geht – als Fraktionschef sitzt er auf einem erstklassigen Nachrückerplatz. „Selbstbewusstsein zeigt sich auch dann, dass man solidarisch ist, wenn es darauf ankommt“, sagt Saleh vor den Abgeordneten und spielt damit auf das Misstrauensvotum vor zwei Wochen an: Die rot-schwarze Koalition hatte sich einstimmig hinter Wowereit gestellt, als die Opposition seine Abwahl verlangte. Und auch von Parteichef Stöß gibt es Selbstbestätigung: „Wir können insgesamt selbstbewusst sein, wie unglaublich wir diese Stadt positiv verändert haben.“
Bloomberg und Wowereit
Da ist es dann für die Fraktion eine nette Zugabe, als Berlins oberster Tourismuswerber Burkhard Kieker seinen Gastauftritt nutzt, um Berlin als „Gesamtkunstwerk, das lebt“, zu loben, was vor allem Wowereit zu verdanken sei. Kieker zitierte den früheren Stabschef von US-Präsident Barack Obama, Rahm Emanuel. Der, inzwischen Bürgermeister von Chicago, habe ihm gesagt, es gebe nur zwei Bürgermeister mit Kultstatus auf der Welt: den New Yorker Michael Bloomberg – und Wowereit.
Ohne Zutun der Abgeordneten erreicht dann noch die Brüderle-Diskussion über Sexismus die Fraktionsklausur: Am Hotelfahrstuhl zeigen Werbeschirme unter dem SPD-Logo eine halbnackte Frau, die mit verträumtem Blick bäuchlings auf einer Liege ruht. „Speziell für die Gäste der SPD-Fraktion haben wir ein Sonderangebot vorbereitet“, hat das Hotel dazugeschrieben und lässt die Sozis schlucken. Der zur Aufklärung gedachte Nachsatz hilft da nicht viel: 20 Prozent Rabatt auf alle Leistungen im hauseigenen Wellness-Bereich.
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