: SenFin und die rote Nummer
Halbzeit bei den Haushaltsberatungen: Die Opposition wirft Rot-Rot Schönfärberei vor – und Sarrazin meint, er wäre nicht mehr Finanzsenator, wenn er alle Brutalitäten schon auf den Tisch gelegt hätte
von STEFAN ALBERTI
Freitagmittag steht Frankreich gegen Senegal im ARD-Programm. Es ist das erste Spiel der Fußball-WM. Auch Jochen Esser würde es gerne sehen, wie es viele selbst am Arbeitsplatz können. Das fällt flach. Denn Esser ist mit seinem Grünen-Kollegen Oliver Schruoffeneger wichtigste Oppositionsstimme in den Haushaltsberatungen des Parlaments. Und dort steht Freitag im Saal 113 nicht Fußball, sondern der Stadtentwicklungsetat auf dem Programm.
Die Parlamentsberatungen über den Doppelhaushalt 2002/2003, der Ende Juni beschlossen werden soll, sind in diesen Tagen in die zweite und letzte Runde gegangen, die offiziell zweite Lesung heißt. Dort kommt alles nochmals auf den Tisch, wozu die Senatsverwaltung Informationen nachzuliefern hatte. Zentrale Diskussionsbühne: der Hauptausschuss, der die große Linie festlegen soll.
Der tagt am Mittwochmorgen seit einer Dreiviertelstunde, und bisher hat sich fast nur der Grünen-Abgeordnete Esser zu Wort gemeldet und einzelne Punkte kritisiert. Es ist eine Welt mit einem eigenen Vokabular, in der sich die Ausschussmitglieder bewegen. Von „SenFin“ spricht die Vorsitzende Hella Dunger-Löper (SPD), wenn sie die Verwaltung des Finanzsenators meint. „Rote Nummern“ nennen die Abgeordneten Berichte mit einem roten Aufkleber – obwohl die Zahl darauf schwarz ist.
Auch inhaltlich ist die Sprache verkürzt. „52603 minus 20.000“ sagt Esser Kollege Schruoffeneger, wenn er beim Haushaltsposten mit dieser Nummer 20.000 Euro kürzen und für Sozialprojekte nutzen will. Vom Ambiente her erinnert es an ein Wirtschaftsprüfertreffen, wenn die Abgeordneten, vor allem die PDS-Fraktion, mit aufgeklappten Laptops vor sich am Tisch sitzen.
Zur Halbzeit der Beratungen über die 42 Milliarden Euro, von denen Berlin bis 2003 leben soll, gibt es von der Opposition schlechte Kritiken. Tenor: Der Senat an den eigenen Zielen vorbeigerauscht, die Regierungsfraktionen SPD und PDS zu feige, selbst Kritik auszusprechen, und die Verwaltungsspitze zu selten anwesend.
„Der Senat hat sein eigenes Konsolidierungskonzept verpasst“, kritisieren die Grünen, „und das lässt sich auch nicht mehr einholen.“ Als Beispiel nennt Schruoffeneger schleppenden Stellenabbau, er bezweifelt, ob der Berliner öffentliche Dienst bis 2006 tatsächlich 15.000 Stellen kleiner ist. Nur in Einzelpunkten habe Rot-Rot sich bewegt, in strukturellen Fragen aber kein Stück. Für die Grünen ist der Senat in Zeiten der schönfärberischen Etatplanung der großen Koalition zurückgefallen.
Die CDU drückt das drastischer aus. „Für Rot-Rot ist die Zeit der Bilanzfälschungen offensichtlich noch nicht vorbei“, sagt ihr Chefhaushälter Nicolas Zimmer. Er bezweifelt unter anderem, dass der Senat die prognostizierten Steuerausfälle von 64 Millionen Euro ausgleichen kann. Bei den jüngsten Vorschlägen habe Rot-Rot Teile davon einfach weggerechnet.
Die FDP-Fraktion reibt sich am schleppenden Verfahren beim geplanten Solidarpakt. Der soll schon nächstes Jahr 250 Millionen Euro Personalkosten einsparen soll, bislang aber sind mit den Gewerkschaften nur Arbeitsgruppen vereinbart. Von einem ungedeckten Scheck spricht der Haushaltsexperte der Liberalen, Christoph Meyer. Alternativen seien ein Tabu: „Die Regierungskoalition hat sich geweigert, darüber auch nur zu diskutieren.“
Nach Darstellung der Opposition sind auch SPD- und PDS-Abgeordnete unzufrieden mit Vorlagen aus der Verwaltung. Die wollten aber ihren eigenen Senat nicht bloßstellen und würden deshalb unter der Hand die Opposition bitten, hart zu bleiben und nachzufragen.
Iris Spranger will von so etwas nichts wissen. Sie ist haushaltspolitische Sprecherin der Sozialdemokraten, „und das müsste dann ja über mich laufen“. Kritik bringe sie selbst vor, „dazu brauche ich keine CDU oder Grüne“. Dass die Regierungsfraktionen im Hauptausschuss weniger nachhakt, hält sie für logisch – man habe ja einen direkteren Draht zur Verwaltung als die Opposition, wisse auf diesem Weg schon mehr. Sie bestätigt, dass sich am Entwurf nur noch in Einzelpunkten, nicht aber strukturell etwas ändern wird: „Man kann nicht im Ausschuss einen Haushalt komplett umstellen.“
Einig sieht sie sich mit der Opposition in einem Punkt: Die auch aus SPD-Sicht mangelnde Präsenz der Verwaltungsspitze. Mit Zustimmung der rot-roten Abgeordneten ließ etwa CDU-Mann Zimmer als Unterausschusschef eine Sitzung platzen, weil weder Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) noch ein Staatssekretär anwesend waren.
Sarrazins Sprecher Claus Guggenberger lehnt die Kritik ab: Die Finanzverwaltung sei stets mit kompetenten Leuten vertreten. Das bestreitet Zimmer gar nicht – „wichtig ist aber, dass jemand da ist, der eine politisch verbindliche Aussage treffen kann“. Für Guggenberger ist Abwesenheit des Senators keine Missachtung des Parlaments, sondern eine Zeitfrage. Zimmer sieht das anders: Wenn Sarrazin Zeit für Interviews habe, dann doch auch für das Parlament.
In einem dieser Interviews nannte Sarrazin jüngst beim Sender XXP die jetzt beratenen Kürzungen „kaum fühlbare Veränderungen“ – das Eigentliche komme noch. Alle Brutalitäten des Sparkurses habe er noch gar nicht auf den Tisch gelegt, „denn dann wäre ich nicht mehr Finanzsenator“.
Vier Wochen sind für die Haushaltsberatung noch vorgesehen, dutzende Sitzungsstunden mit SenFin und roter Nummer. Für den grünen Fußballfan Esser gibt es ein Licht am Ende des Tunnels: Das WM-Finale wird er sehen können – es läuft am 30. Juni, zwei Tage nach der Schlussabstimmung im Parlament.
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