Semesterstart in Berlin: Kinder müssen draußen bleiben
Die Uni startet nach zwei Jahren Corona in Präsenz. An der Alice-Salomon-Hochschule werden Studierende mit Kindern deswegen ausgeschlossen.
Die ASH ist mit rund 4.000 Studierenden die größte staatliche Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung und Bildung in Deutschland. In ihrem Profil betont sie, wie wichtig die Förderung von Gerechtigkeit und Partizipation ist. Doch die pandemische Situation stellt die Hochschule vor eine Herausforderung: Wie sieht eine Rückkehr zur Präsenzlehre aus, die wirksamen Infektionsschutz zulässt und gleichzeitig die Partizipation aller ermöglicht?
Das Corona-Management der ASH setzt auf anonymisierte Kontaktnachverfolgung, Luftfilter und technische Ausstattung für hybride Lehre. Auch wurde der Etat zur mediendidaktischen Schulung der Lehrenden erheblich aufgestockt. Zum Semesterstart entschied das Pandemiemanagement der Hochschule nun, die vor der Pandemie übliche hauseigene Kinderbetreuung nicht anzubieten. Darüber hinaus wird Kindern der Zutritt generell verweigert.
Sprecherin Christiane Schwausch begründet das mit Sicherheitsbedenken: Eine Covid-Infektion verlaufe bei Kindern häufiger symptomlos und sei schwerer zu erkennen. Gleichzeitig seien die Ansteckungsrisiken höher. Angesichts der engen Räumlichkeiten der ASH wolle man „eine möglichst sichere Umgebung für alle schaffen, inklusive die teilweise über 50- oder 60-jährigen Lehrenden sowie natürlich für Studierende, die sich aus gesundheitlichen Gründen schützen müssen“.
Damit hat die ASH offenbar ein Alleinstellungsmerkmal. An der Humboldt-Uni und der Freien Universität gibt es solche Regelungen nicht; auch die Angebote zur Kinderbetreuung sind geöffnet. Schwausch zufolge seien die Gegebenheiten der beiden Hochschulen aufgrund der Größe ihrer Campus nur schwer mit der ASH vergleichbar.
Die Rückkehr zur Präsenzlehre finden Magda Zieba und Max Klaus zwar begrüßenswert; den bisherigen Austausch dazu mit Studierenden und Lehrenden halten sie für einen „kommunikativen Schuss in den Ofen“. Diese hätten erst zum Semesterstart davon erfahren, teilweise erst am Eingang der Hochschule. Sie fühlten sich „vor den Kopf gestoßen“. Die ASH-Sprecherin räumt Fehler ein: „Dass die weitere Präsenzerhöhung im Sommersemester nicht automatisch bedeutet, dass die ‚alte Normalität‘ sofort wieder hergestellt wird, hätte die Hochschulleitung sicher besser kommunizieren können.“
Das Ausmaß des Problems ist allerdings unklar. Die Hochschule spricht von „Einzelfällen“. Der Pandemiebeauftragte der ASH, Olaf Neumann, teilt der taz dazu mit: „Vor der Pandemie haben nur 10 bis 20 Kinder regelmäßig die Betreuungsangebote wahrgenommen.“ Auf dieser Zahlenbasis sei geplant worden. Max Klaus geht hingegen davon aus, dass 5 bis 10 Prozent der Studierenden betroffen sind. Bereits mehr als 100 davon hätten sich via Messengerdienst Telegram vernetzt.
Die Berliner Hochschulen haben sich mit dem Senat darauf geeinigt, dass das neue Semester grundsätzlich in Präsenz stattfinden soll. Ausgangspunkt ist eine „außergewöhnlich hohe Impfquote unter den Studierenden“, heißt im Eckpunktepapier vom 31. März. Ein wirksamer Infektionsschutz müsse gewährleistet sein. Dafür sind Rahmenbedingungen vereinbart, die die Hochschulen selbst ausgestalten können.
So gibt es Gestaltungsspielraum in der Umsetzung von Maskenpflicht, Abstandsregeln, Kontaktverfolgung und im Angebot unterstützender, digitaler Lehrangebote. Die ASH begann das Sommersemester 2022 vergangene Woche, am Montag folgte die TU. HU und FU starten nach Ostern. (taz)
Das Kernproblem scheint die Informationsbasis zu sein, auf der geplant wurde. Die Betreuungszahlen aus der Zeit vor der Pandemie sind laut Studierenden nicht mehr aktuell. Die Lebenssituation vieler habe sich in den letzten zwei Jahren erheblich verändert, viele hätten während der Pandemie Kinder bekommen. Und gerade Menschen mit Kind hätten sich aufgrund der eigentlich großen Familienfreundlichkeit der ASH hier eingeschrieben. Trotz verschiedener Kanäle, über die die Hochschulleitung im Austausch mit Studierendenvertreter*innen ist, wurden die veränderten Bedürfnisse offenbar nicht wahrgenommen.
Der Pandemiebeauftragte Neumann rät den Betroffenen, die Lehrkräfte nach digitalen Partizipationsmöglichkeiten zu fragen. Zudem gebe es die Möglichkeit, nach Absprache Lernersatzleistungen zu erbringen. Aus Sicht von Max Klaus sind beide Lösungsansätze aktuell nicht praktikabel. Die Dozent*innen seien gegenüber hybrider Lehre „mindestens skeptisch“ eingestellt. Dementsprechend gebe es zu wenige Angebote. Lernersatzleistungen wie Hausarbeiten zu erbringen, ohne am Unterricht teilzuhaben, sei ebenso schwer vorstellbar.
Zieba und Klaus stehen nun vor der Frage, wer von den beiden sich zu Hause um die Tochter kümmert und wer weiter studieren kann. „Wir haben teilweise gleiche Kurse belegt und können nun nicht gleichzeitig teilnehmen.“
Vielleicht gibt es aber noch eine andere Lösung: Für Dienstag hat die Hochschulleitung Studierende und Lehrende zu einem gemeinsamen Austausch eingeladen. Ziel sei es zunächst, ein „gegenseitiges Verständnis zu bekommen“, berichtet Schwausch.
Max Klaus freut sich über das Gesprächsangebot der Hochschule, hohe Erwartungen hat er vor dem Treffen am Dienstag allerdings nicht: „Nachdem es in der letzten Woche hieß, man wolle an den Regelungen festhalten, weiß ich nicht, wie offen über Veränderungen gesprochen wird. Ausgeschlossen ist das natürlich nicht.“
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