Seltsame Musik vom Schotten Bill Wells: So verstehen uns Aliens besser
Sonderlinge gibt es im Pop einige, aber keiner ist so verschroben wie Bill Wells. Deshalb werden hier gleich zwei Alben von ihm vorgestellt.
Wer leicht abseitige Musik mag, die dem Ohr schmeichelt wie ein Isla-Whiskey dem Gaumen, kommt um Schottland kaum herum – selbst wer kaum Künstler:Innen von dort kennt. Ein Name, der von nun an im Gedächtnis bleiben kann, ist Bill Wells. Seine Prägung beschrieb der Glasgower Gitarrist, Bassist und Pianist einmal als „jazz by default“. In den mittleren neunziger Jahren galt Wells tatsächlich als aufsteigender Stern am Jazzhimmel. Doch die streberhafte Szene erwiderte seine Liebe nicht – was wohl an seinem Herz für unterschiedlichste Klangwelten lag.
Der 1963 geborene Autodidakt erlaubte sich einen Witz über die Gatekeeper-Mentalität der arg hermetischen Jazzwelt, indem er eines seiner Bandprojekte National Jazz Trio of Scotland nannte – obwohl es weder Jazz noch ein Trio war und schon gar nicht mit einem offiziellen Auftrag unterwegs. Auf nunmehr fünf („Standards“ betitelten, durchnummerierten) Alben begleitet Wells die Sängerinnen Aby Vulliamy, Kate Sugden und Lorna Gilfedder jeweils durch eigenwillige Songs.
Über die Jahre entwickelte sich der Solitär zur grauen Eminenz in der Indie-Welt und arbeitete mit unterschiedlichsten Künstler:innen: den stilprägenden Indie-Poppern The Pastels, der Twee-Popband Belle & Sebastian, der Berliner Songwriterin Barbara Morgenstern oder mit Aidan Moffat, bekannt als Solist und Hälfte des grummeligen Duos Arab Strap.
Verspielt und melancholisch zugleich
Nun hat Wells ein feinsinniges zweites Album mit der Tubistin Danielle Price veröffentlicht, zusammen sind sie The Sensory Illusions: Elf wunderbare Begegnungen zwischen E-Gitarre und dem tiefsten aller Blasinstrumente, das hier sehr nuanciert klingt. Mal lässt Price ihre Tuba die Gesangsstimme übernehmen, dann wieder fungiert sie als Rhythmusgeberin. Mit Melancholie und Verspieltheit führen Wells und Price Pop, Jazz, aber auch Avantgardistisches und Filmmusik zusammen.
The Sensory Illusions: „II“;
Bill Wells& Maher Shalal Hash Baz: „Osaka Bridge“ (beide Karaoke Kalk/Indigo)
Etwa in der behände-luftigen Interpretation des Spionagethriller-haften „Theme from Vendetta“ von John Barry: Wells schneidende Gitarre ruft flirrenden Sixties-Pop auf, Price erdet ihn mit tiefen Vibrationen. An anderer Stelle gibt sie die Melodie vor, beim sehnsuchtsvollen „Flotsam Bodes“ etwa – einem von zwei Tracks, für die Wells diesmal Klavier spielt.
Dass er seiner Zeit oft voraus war, beim Erkunden unbekannter Klangwelten, zeigt auch eine jüngst wiederveröffentlichte Kooperation von 2006. Blasmusik im frischen Gewand gab es seinerzeit vor allem in Gestalt des Balkan-Pop, bei dem osteuropäische Folklore, oft wenig subtil, mit Dancefloorbeats aufgebohrt wurde. „Osaka Bridge“, das erste von zwei Alben, die Wells mit dem Tokioter Outsider-Kollektiv Maher Shalal Hash Baz aufnahm, schlug da deutlich verschrobenere Töne an. Der Name der Combo entstammt der Bibel, genauer gesagt dem Buch Jesaja, und bedeutet so viel wie „Sei schnell, wenn du etwas stiehlst“.
Anarchie, Sekte, Keramik
Mastermind von Maher Shalal Hash Baz war Tōri Kudō, eine schillernde Persönlichkeit: In den 1970ern revolutionärer Polit-Aktivist, später Zeuge Jehovas. Und seither auch Keramikkünstler. Zusammen mit seiner Frau Reiko und dem Euphonium-Spieler Hirō Nakazaki amalgalmierte Kudō für dieses Projekt Avant-Folk, Psychedelia und Freejazz – mit Frusttoleranz für Fehler und Stolperer. Nicht umsonst hat Kudō sich schon als „king of error“ bezeichnet. Entsprechend rumpelig klingt „Osaka Bridge“, weit weniger ausdefiniert als Wells’ aktuelle Blasmusik-Kooperation.
Und doch inspirierte das Album eine Subkultur-Nische, was sich auf der charmanten Compilation „Alien Parade Japan“ (2022) nachvollziehen lässt. Viele Ideen darauf werden auf halber Strecke fallen gelassen und wärmen doch das Herz. Als versuche ein Mittelstufenorchester den unlängst verstorbenen Burt Bacharach zu interpretieren – so beschrieb ein User auf Discogs seine Hörerfahrung. Eine andere findet, das Album „könne Aliens vermitteln, worum es der Menschheit geht“.
Nun, mit einer zuckersüßer Melodei wie „On the Beach Boys Bus“ im Ohr muss man sagen: Das ist eindeutig ein zu liebevoller Blick auf unsere Spezies.
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