Seltener Protest in Peking: Aufruf zum Sturz des Diktators

In Zentrum der Hauptstadt hat ein Unbekannter zwei systemkritische Banner aufgehängt. Es ist eine der größten Protestaktionen in zwanzig Jahren.

Eine Schnellstraßenbrücke über eine große Kreuzung in Peking.

An dieser Brücke in Peking hingen kurzzeitig die Protestbanner Foto: Dake King/ap

PEKING taz | Es ist der wohl größte öffentliche Protest in der chinesischen Hauptstadt seit der Jahrtausendwende: Nur drei Tage vor dem 20. Parteikongress hat ein Unbekannter zwei riesige Banner auf der Brücke einer sechsspurigen Hauptverkehrsader aufgehangen.

Aufschrift des Protestbanners

„Wir wollen Freiheit, keinen Lockdown. Wir wollen Bürger sein und keine Sklaven“

Doch statt der üblichen Staatspropaganda prangte darauf unerhörte Systemkritik: „Wir wollen Essen, keine PCR-Tests. Wir wollen Reformen, keine Kulturrevolution. Wir wollen Freiheit, keinen Lockdown. Wir wollen Bürger sein und keine Sklaven“, heißt es auf einem der Plakate. Und gleich daneben heißt es unmissverständlich: „Stürzt den Diktator und Dieb Xi Jinping“.

Am Nachmittag erinnert an der Sitong-Brücke im nordwestlichen Bezirk Haidian nur mehr wenig an den Vorfall. Selbst eine erhöhte Polizeipräsenz war zunächst nicht erkennbar. Doch es dauert nur wenige Augenblicke, ehe sich zwei Polizisten mit roter Armbinde dem deutschen Reporter annähern – und prompt Reisepass und Pressekarte einkassieren.

In den nächsten Minuten zeigt sich, dass es sich bei vielen der zufällig in der Nähe befindlichen „Passanten“ – darunter auch ein in Trainingshosen und Sportschuhen gekleideter Jogger – tatsächlich um Beamte der Staatssicherheit in Zivil handelt.

Nach einer 15-minütigen Sicherheitsüberprüfung löst sich die Situation ohne Eskalation auf. Gemessen an der Brenzligkeit des Themas ist sie für chinesische Verhältnisse überaus glimpflich ausgegangen.

Berichte sofort zensiert

Im chinesischen Netz wurden die Ereignisse umgehend von den Zensoren blockiert. Auf ausländischen Onlineplattformen, allen voran Twitter, verbreiteten sich hingegen Foto- und Videoaufnahmen zuhauf.

Darauf war zu sehen, wie ungläubige Passanten vor der Sitong-Brücke die Banner bestaunten, als sie gerade von Polizisten abgeräumt wurden. Zudem stiegen dort Rauchwolken, wie nach einem Feuer, in den Himmel. Die Gründe dafür sind bislang unklar.

Dass die Protestaktion überhaupt gelang, ist fast schon ein Wunder: Nicht nur sind Pekings Straßen alle paar Meter mit Überwachungskameras bestückt, sondern derzeit kurz vorm Parteikongress ist auch die Polizeipräsenz unglaublich hoch. An den wichtigen Kreuzungen innerhalb der inneren Stadtringe wachen routinemäßig Sicherheitsbeamte über das Geschehen.

Wer die Banner aufgehängt hat, ist ebenfalls nicht bekannt. Doch in einem Land, in dem bereits kritische Postings in den sozialen Medien inzwischen zu Vorladungen auf die Polizeiwache führen können, wirkt eine solche Aktion außerordentlich mutig. Und sie zeigt auch, was man sonst angesichts des repressiven Klimas nicht zu sehen bekommt: die Risse hinter der Fassade der Macht.

Es rumort zunehmend in China

Denn nach zweieinhalb Jahren „Null Covid“ rumort es zunehmend. Die plötzlichen Lockdowns, willkürliche Zwangsquarantänen und tägliche Massentests haben nicht nur die Wirtschaft an den Rand einer Rezession gebracht, sondern auch die ökonomische Lebensgrundlage etlicher Familien zerstört.

Doch Kritik wird, wenn überhaupt, nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Die roten Linien, die sich in den letzten Jahren unter Staats- und Parteichef Xi Jinping immer weiter verschoben haben, lassen zwar durchaus noch Unmut an der Lokalregierung zu. Doch wer diesen gegen Peking richtet oder gar die Systemfrage richtet, muss mit der eisernen Hand des Staats rechnen.

Der Zeitpunkt des Protests ist sehr heikel. Am Sonntag beginnt schließlich der 20. Parteikongress in Peking. Während diesem wird Xi Jinping – als erster Parteichef seit Mao Zedong – seine dritte Amtszeit erklären.

Dass sich nicht wenige Chinesen einen anderen Kurs für ihr Heimatland wünschen, kommt im staatlich gelenkten Diskurs der Medien nicht vor. Doch an diesem Donnerstagnachmittag war der Dissens zumindest für wenige Minuten sichtbar.

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