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Selig brummt der Röhrenverstärker

■ Low, aber gewaltig: Gore Slut aus Belgien und Hamburgs Sport im Molotow

Wagen wir einen Rückblick: Ausgerechnet MTV sorgte 1994 für die flächendeckende Verbreitung einer überaus interessanten Band. Und das, obwohl die Belgier dEUS eigentlich gar nicht in irgendwelche Schubladen gepaßt haben. Dennoch fand selbst der gelegentliche Fernsehzuschauer schon vor Veröffentlichung ihres Debut-Albums Worst Case Scenario keinen Weg an ihrer Omnipräsenz in den verschiedensten Formaten vorbei.

Der Tonträger schließlich verwunderte mit einer ausufernden Bandbreite ideenreicher Gitarren-Pop-Songs. Als klar wurde, daß sich nicht einmal die halbe Welt auf dEUS einigen konnte, ließ das Medieninteresse aber auch ganz schnell wieder nach. Es erschienen bis heute zwei weitere Langspielwerke, und unzählige sogenannte Seitenprojekte entstanden.

Noch ein Rückblick: In den frühen Neunzigern war es weit verbreitet, Musik über ihre Aufnahmetechnik zu definieren. Wurde die als schlecht genug befunden, durfte sie unter der Kategorie „Low-Fi“laufen. Neben einer weiteren Ablagefläche bescherte das der Welt jede Menge wundervolle Bands, die sich fast alle durch Songwritertalent auszeichneten. Nennen wir keine Namen, es wären zu viele.

Leute, die das machen, was sie am besten können, sind Gore Slut aus Belgien. Weil Sänger und Gitarrist Rudy Trouvé ebenfalls bei dEUS mitwirkt, gelten Gore Slut als deren Nebenprojekt. Vor drei Jahren hätte man dazu noch definitiv Low-Fi gesagt, heute interessiert das niemanden mehr. Da erscheint es fast als sympathischer Anachronismus, wenn im CD-Booklet die Schlafzimmer mit den dazugehörigen 4-Spur-Geräten einzeln aufgelistet stehen.

Statt betont unausgegorener Spontaneität zeigen Gore Slut allerdings viel Detailliebe in ihren Arrangements. Dafür sprechen Drumcomputer-Sounds aus dem Spielzeugladen und mehrstimmige Gesangsparts in unterschiedlichen Zerrstufen. Leiseste Melodiemomente ruhen eingebettet in Geräuschkreationen auf Sandkastenniveau – die Flaming Lips standen hier Pate. Bevor die Songs beginnen, brummt selig der Röhrenverstärker. Eine Unterhaltung muß schnell getätigt sein, um gleich darauf in einen leidenschaftlich nölenden Gesang zu fließen. Dementsprechend sind die Ergebnisse manchmal etwas langweilig, manchmal wunderschön.

Als Vorgruppe werden heute abend die Hamburger Sport fungieren. Wie verschiedene bravouröse Auftritte in jüngster Vergangenheit gezeigt haben, pflegt man auch dort ähnliche Verbindungen zur guten alten amerikanischen Gitarrenrock-Tradition, bleibt aber wesentlich aufgeräumter als Gore Slut. Sebadoh jedenfalls mögen beide. Auf ihre Weise. sop

Do, 18. September, 21 Uhr, Molotow

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