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Selbstvermarkter Anselm LenzAluhüte am Rosa-Luxemburg-Platz

Früher hochkulturell subventionierte Radikalitätsposen, heute politisches Theater im Zeichen der Querfront. Der Fall des Anselm Lenz.

Broschüre über groteske Selbstvermarktung? Anselm Lenz teilt gerne aus Foto: Christian Ditsch/imago

Man wünscht sich derzeit sehr, Anselm Lenz, einer der Organisatoren der von Rechtsradikalen und Verschwörungs­theo­re­tikern frequentierten Berliner „Hygiene“-Demonstration, würde sich an die Parole halten, mit der er früher auf sich aufmerksam machen wollte: „Sag alles ab.“ Ja, bitte, sag alles ab, am besten sofort.

Allerdings hat Anselm Lenz die aus einem Tocotronic-Song entwendete Parole seinerzeit in einem etwas anderen Kontext benutzt. Vor sechs Jahren versuchte er sich noch mit überschaubarem Erfolg wahlweise als Dramaturg, politischer Aktionskünstler und Buchautor, später auch als Journalist, unter anderem bei der taz. Mitte der 2010er Jahre gehörte Lenz zum Kunstkollektiv Haus Bartleby, das vor drei Jahren seine Aktivitäten eingestellt hat und sich von den neuesten Kapriolen des früheren Mitstreiters mittlerweile deutlich distanziert.

Das Geschäftsmodell von Haus Bartleby war ein wenig bizarr. Mit coolnessbewussten Anleihen bei den Situationisten und anderen Radikalverweigerern verkündete man den Ausstieg aus allen systemrelevanten Aktivitäten und Faulheit als den definitiven Weg der Subversion. Vieles davon war wie die Toco­tro­nic-Zeile zwecks Selbstaufwertung parasitär geklaut – eine etwas anmaßende Attitüde aus zweiter Hand.

Radikal für Geld

Da das Programm der „Kar­riere­verweigerung“ mit großem Fleiß und deutlichem Willen zur Markenbildung betrieben wurde, war ein gewisser performativer Selbstwiderspruch nicht zu übersehen. Bei den Akteuren handelte es sich mitnichten um Langzeitarbeitslose oder Eremiten, sondern um strebsame Nachwuchsakademiker auf der Suche nach einem Auskommen und einer kleinen Karriere im Kulturbetrieb.

Ziel des Geschäftsmodells war es, mittels der Behauptung vermeintlich das System destabilisierender „Karriereverweigerung“ ein eigenes Label, eben Haus Bartleby, zu etablieren und die so akquirierten Aufmerksamkeits-Marktanteile im Kulturbetrieb zu monetarisieren. Dort werden unverbindliche Gesten der Radikalität und Dissidenz immer gern genommen.

Mit der Behauptung, man wolle auf keinen Fall Karriere machen, eben doch eine kleine Karriere machen? Zumindest für zwei, drei Jahre ging die Wette auf

Das hat eine Zeit lang funktioniert und steht symptomatisch für die Konjunkturen im Radical-Chic-Segment des Kulturbetriebs. Es wird interessant sein zu sehen, ob und wie dieses Business der hochkulturell subventionierten Radikalitätsposen die derzeitige Krise und die in ihr mit einer etwas anderen Dringlichkeit gestellten Relevanzfragen überstehen wird.

Die paradoxe Wette der Haus-Bartleby-Betreiber lief darauf hinaus, ob man ohne viel zu bieten zu haben, nur mit der Behauptung, man wolle auf keinen Fall Karriere machen, eben doch eine kleine Karriere machen könnte. Zumindest für zwei, drei Jahre ging die Wette auf. Haus Bartlebey konnte in der Hamburger Edition Nautilus ein Buch veröffentlichen und wurde gelegentlich auf ehrwürdige Bühnen eingeladen, vom Heimathafen Neukölln über das Haus der Kulturen der Welt bis hin natürlich zur Berliner Volksbühne.

Sogar für einen Wiener Thea­ter­preis, den Spezialpreis des Nestroy, reichte es. Dass sich aus der Propagierung der Karriereverweigerung auf Dauer dann doch keine Karriere im Kulturbetrieb erschwindeln ließ, hat eine gewisse Logik. Sehr freundlich könnte man diesen Bluff als launige Versuche von Künstlern ohne Werk, aber mit Talent zur Selbstvermarktung beschreiben, die einem gelangweilten Kulturbetrieb ein ironisches Schnippchen schlagen.

Lebenslüge grotesk forgesetzt

Die Frage ist, welches Licht An­selm Lenz’ jüngste Aktivitäten als Querfront-Aktivist und Demonstrationswegbegleiter von Verschwörungstheoretikern auf seine früheren Tätigkeiten im Radical-Chic-Aufmerksamkeitsgeschäft wirft. Vor seinem biografischen wie ideengeschichtlichen Hintergrund wirken seine heutigen Manöver wie die halb komische, halb tragische, also groteske Fortsetzung einer Lebenslüge und der energischen Versuche, irgendwie Aufmerksamkeit zu erregen. Egal für was. Hauptsache, für die eigene Person. Ein Leben aus zweiter Hand, immer auf der Suche nach Bedeutung und einer Bühne. Auch deshalb war der Wechsel des politischen Vorzeichens, von diffus linksradikal zu konfuser Systemkritik mit Schnittstellen zum Rechtsradikalismus, offenbar recht mühelos.

Tragisch daran ist nicht nur die Assoziation mit bizarren Querfront-Weggefährten wie dem Moderator Ken Jebsen, dem Compact-Magazin oder mit AfD-Kadern, sondern der unreflektierte Wechsel des Spielfelds, ein typisches Missverständnis unaufgeklärter, hinsichtlich der eigenen Voraussetzungen naiver Aktionskunst.

Als Untermieter im Haus Bartleby spielte Anselm Lenz den Systemverweigerer, dabei ging es nur um Kunst (oder zumindest um Teilhabe am Kunstbetrieb). Jetzt ist es genau umgekehrt. Der Ort der Demonstration vor der Volksbühne, die Lügen, der frühere Schlingensief-Dramaturg Carl Hegemann zähle zu den Unterstützern und Giorgio Agamben sei Mitherausgeber der von Lenz & Co verteilten Flugblätter, der gestreute Fake, Frank Castorf spreche auf einer der Demonstrationen, die Verbindung zum verstrahlten Teil der einstigen Volksbühnen-Besetzer, die frei erfundene Behauptung, man arbeite mit der Volksbühne zusammen – mit jeder Geste signalisiert Lenz den Wunsch, irgendwie an der Kunst und dem Referenzsystem der Volksbühne teilzuhaben.

Früher tat er als Kulturbetriebs-Selbstvermarkter so, als sei er politischer Aktivist. Heute ist er beim Gegenteil angekommen: Er wäre gern ein Teil einer von ihm imaginierten Volksbühne und macht sich zum nützlichen Idioten der Rechtsradikalen, die seine Demons­tration besuchen.

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6 Kommentare

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  • Dear Taz

    What is wrong with you? Really it's getting ridiculous. Benjamin Haughton just published an article for ex Berliner over these demos. Demonstrating clear journalism.

    Whatever happened to transparent and good journalism?

    I am inundated with colleagues commenting that this article is far too personal and really strays from the events.

    Please for the sake of your newspaper which I enjoy reading end your now ridulous and somewhat embarrassing coverage of Anselms work.

    Thanks in advance!

    Louise Thomas

  • herman melville ...

    bartleby, der schreiber 'i'd rather not!'.

    also auch parasitär geklaut.

    gestern...16.05. bremen:



    kundgebung der kdw/kommunikationsdstelle demokratischer widerstand ev i.gr. berlin.

    mein eindruck: ein wirres gemengegemisch.

    und genauso liest es sich auch in den ausgaben 'demokratischer widerstand'.

  • Das war wieder mal ein superber Peter Laudenbach! Danke!

  • Ganz guter Artikel, dem eine versierte Redaktion allerdings nicht geschadet hätte.

  • Krass! Danke, liebe Taz für diesen Bericht.

    Ich hab mich als Hamburger Kulturschaffender schon ne Weile gefragt, was aus denen geworden ist, bzw. - wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich die ganze Initiative zwischenzeitlich wieder vergessen. Obwohl ich 1-2 Gespräche mit Anselm Lenz hatte.



    Damals fiel mir schwer einen wirklichen, wahrhaftigen Standpunkt mit ihm zu finden - alles ergoss sich in intellektuell verschachtelte Argumentationen mit ziemlich radikalen, wahrscheinlich damals noch selbst auferlegten, Begrenzungen der Perspektive. Sehr mühsam.

    Mist, das das jetzt seine nächsten Entwicklungsschritte sind. Tragisch und peinlich.

  • Das alles ist so offensichtlich wenig emanzipativ, dass man die banale Feststellung kaum ansprechen mag.



    Da rennt der Herr Lenz mit nem Karton Grundgesetze übern Platz und



    fordert eigentlich was ein? Das die Leute Lohn haben, ne Rente, ne Wohnung die sie noch bezahlen können, wenn in Island ein Vulkan explodiert? Oder von sonstewoher ein Virus grassiert? Das man ein öffentliches Gesundheitssystem hat, statt die Dummheit und Gier der Exceltabellen? Das man Schulpaläste statt Ruinen hat, in denen die Zahl der Waschbecken nicht mal für einfachste Hygiene reicht? Das man die Lager und die Lage der Geflüchteten nicht vergisst, weil unserer angeblich eigener Arsch mal wieder der wichtigste ist?



    Das man die nationalen, internationalen Parlamente und Organisationen nutzt, um über die soziale, die ökonomische, die ökologische Realität. Über Krieg und Frieden und Gerechtigkeit und Zukunft für die Menschen spricht?



    Für wen und für was hält Herr Lenz das Grundgesetz in den Himmel?



    Kunstkritisch gesehen recht schlichte Symbolik.



    Das wird erst Kunst, ist unfreiwillig komisch wenn man nicht ihn als den Akteur begreift. Die Performance erschliesst sich erst mit dem Kontext des Milieus, das sich um ihn schart. Ist er doch eigentlich das klischeehafte Produkt der Subventionspraxis, die dieses Milieu ablehnt und geradezu hasst. Was für eine Allianz. Die genau dem Bedeutung verschaffen will, was es vorgibt zu bekämpfen und zu beseitigen.



    Man wüsste gern - ist es Herrn Lenz klar? Nun wird es sich erfüllen. Die Performance wird ihn verbrennen. Sie materialisiert sein berufliches, sein Lebensziel. Keine Karriere machen. Einfach schlicht unwichtig sein. Auf allen Kanälen und digital-viral nichts sein. Als Mittelmaß und Wahn. Und Klick-Klick-Klick-Klick und noch ein Like.