Selbstmedikation bei Tieren: Wurmmittel und Darmreiniger
Die Heilmittel gibt es in der Natur. Bei Krankheiten wissen Tiere häufig sich selbst zu helfen. Erforscht ist die Zoopharmakognosie bisher kaum.
Der Medizinschrank von Schimpansen ist gut gefüllt. Bei Durchfall fressen die Menschenaffen mit Borsten und Widerhaken bestückte Blätter. Gut eingespeichelt und unzerkaut wandern diese in den Verdauungstrakt. Lästige Parasiten bleiben an den Blättern hängen und können problemlos ausgeschieden werden. Biologen der Harvard University zählten bei Feldstudien insgesamt 30 verschiedene Baumarten, die den Affen als Darmreiniger dienen.
Neben Schimpansen kennen diesen Trick übrigens auch anderen Primaten wie Orang-Utans oder Paviane. Bei Erkrankungen wie Parasitenbefall oder Malaria greifen die Schimpansen zu Pflanzen mit pharmakologischer Wirkung oder vertreiben durch gezielte Fellpflege mit Pflanzenbrei lästige Insekten. Selbst präventiver Einsatz der „Naturheilmittel“ scheint kein Problem sein.
Michael Huffmann von der Kyoto University in Japan berichtet von einer gesteigerten Aufnahme von pflanzlichen Durchfallhemmern während der Regenzeit, in der die Infektionsgefahr besonders groß ist.
„Primaten liefern natürlich spektakuläre Beispiele, sie sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt kaum Tiere, bei denen man solche Phänomene nicht beobachten kann“, sagt Eckard Heymann, Verhaltensökologe von Deutschen Primatenzentrum in Göttingen.
Hunde und Katzen
Ein naheliegendes Beispiel für die Selbstmedikation, auch Zoopharmakognosie genannt, sind unsere geliebten Haustiere Hund und Katze. Jeder Hundebesitzer kennt den Anblick seines Gras fressenden Vierbeiners. Was oft nur als verrückte Macke abgetan wird, hat einen konkreten Nutzen. Mit dem Gras behandeln Hunde und Katzen Magenverstimmungen, das Grün wirkt wie ein natürliches Brechmittel.
Neben Pflanzen spielt auch Erde eine große Rolle für die Verdauung vieler Tiere. Ein Beispiel dafür sind die Aras im Amazonasgebiet. Die bunten Papageien fressen besonders gern den tonhaltigen Boden der Flussufer. Die Erde neutralisiert das natürliche Gift in vielen Samenpflanzen und erweitert so das Nahrungsspektrum der Vögel.
Eine ähnliche Strategie haben die Koalas in Australien. Zu ihrer Nahrung gehören Hunderte von teilweise giftigen Eukalyptusarten. Die kleinen Beutelbären wissen normalerweise genau, welche Sorten sie vertragen und welche nicht. Erwischen sie doch einmal einen falschen Stängel, fressen sie Erde, um das Gift zu neutralisieren. Aus einem ganz anderen Grund greifen Landschildkröten zu dem staubigen Snack. Sie graben im Boden nach kalziumhaltigen Mineralien, die ihren Panzer stärken.
Schutz für Bienenstöcke
„Wenn wir Tiere bei der Futtersuche in der Natur beobachten, müssen wir uns eigentlich fragen, ob sie in den Supermarkt oder in die Apotheke gehen“, sagt Mark Hunter von der University of Michigan. Mit mehreren Kollegen hat der Biologe eine der wenigen umfassenden Studien zum Thema „Selbstmedikation bei Tieren“ vorgelegt.
Besonders überrascht hat den Forscher nach eigener Aussage die umfassende Selbstmedikation der Insekten. So produzieren Honigbienen ein antibakterielles Harz namens Propolis, bestehend aus Pflanzensäften, Wachs und Drüsensekreten. Rund um die Eingänge und Brutstätten wird das Harz verbaut und schützt damit den Bienenstock vor Krankheitskeimen.
Ähnliche Strategien beobachteten Biologen auch bei verschiedenen Ameisenarten. Der amerikanische Monarchfalter ist sehr gründlich in der Wahl seiner Eiablage. Ist der Schmetterling selbst von Parasiten befallen, legt er seine Eier in Seidenpflanzen. Diese schrecken Parasiten nicht nur ab, sondern hemmen auch ihr Wachstum.
Die zwei Seiten des Alkohols
Taufliegen legen ihre Eier gleich in vergorene Früchte, der hohe Alkoholanteil hält Parasiten und räuberische Wespen gleichermaßen fern. Auch bei Wespen wiesen Forscher der Emory University in Atlanta den gezielten Einsatz von Alkohol als Heilmittel nach. Die Wissenschaftler stellten fest, dass mit Parasiten infizierte Larven deutlich höherprozentiges Futter bekamen als gesunde.
Insekten wiederum werden von anderen Tieren gern als Medikament eingesetzt. Kapuzineraffen reiben sich beispielsweise mit dem Gift von Tausendfüßlern ein, um lästige Mücken zu vertreiben. Von über 200 Vogelarten ist bekannt, dass sie Ameisensäure zur Abwehr von Milben und Läusen benutzen. Manche Vögel setzen sich sogar bewusst auf einen Ameisenhaufen, um genug Säure aufzunehmen.
Nikotin gegen Parasiten
Ein gern gebrachtes Beispiel für kreative Parasitenabwehr in der Vogelwelt ist das Verbauen von Zigarettenstummeln in Nestern. Isabel López-Rull von der Nationaluniversität Unam in Mexiko-Stadt entdeckte in mehr als 50 Nestern von Haussperlingen und Hausgimpeln alte Glimmstängel. Das Ergebnis ihrer Untersuchung: Das darin enthaltene Nikotin schützt vor Federlingen und Milben.
Trotz der unglaublichen Bandbreite von Beispielen ist die Zoopharmakognosie als Forschungsgebiet noch sehr jung, und entsprechend viele Fragen sind ungeklärt. So rätseln die Wissenschaftler noch immer darüber, ob das „medizinische Know-how“ rein genetisch bedingt ist oder auch erlernt und weitergegeben werden kann. „Studien sind extrem aufwendig, gerade bei Affen können wir nur im absoluten Glücksfall kranke Tiere in freier Wildbahn beobachten“, sagt Heymann. Die meisten Studien basieren daher auf wenigen Beobachtungen.
Von der Apotheke des Tierreichs können wir trotzdem einiges lernen. So greifen in Tansania Menschen und Tiere seit vielen Jahrhunderten zu den gleichen Heilpflanzen. Die Blätter des Mjonso-Baums und die Äste einer Vernonia-Art wirken gut gegen Durchfall und Fieber. Wer dieses Hausmittelchen zuerst entdeckt hat, ist unbekannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?