Selbstgestricktes gegen die Kälte: Wolle und wollen

Wer friert, weil gerade Energie gespart werden muss, ist selber schuld, meint unsere Autorin. Es gibt schließlich leicht Abhilfe.

Detailaufnahme von Händen die zum Stricken Maschen auf Nadeln aufnehmen

Junge Frau, strickend Foto: Angel Santana Garcia/Westend 61/imago

Ah, Sie froren neulich? Weil es überraschend im Winter doch zehn Tage lang richtig kalt war. Und jetzt, wo der Winter wieder zu warm ist, frieren sie immer noch. Und zwar, weil die Vernunft es Ihnen gebietet, die Heizung herunterzudrehen. Der Krieg. Der Klimawandel.

Im besten – oder schlimmsten – Falle sehen Sie im Frieren Schicksal. Wie die Leute in der Ukraine. Nur, wir leben nicht dort, wir leben hier. Und bevor Krieg und Klimawandel wieder egal sind und die Heizung doch aufgedreht wird, checken Sie einmal, mit welchen Materialien Sie Ihren Körper umhüllen.

Ist es Baumwolle? Dann sind Sie mit einem Sommermaterial bekleidet, das eher kühlt anstatt zu wärmen. Andere Pflanzenfasern, wie Leinen oder Hanf, sind auch mehr für den Sommer.

Oder tragen Sie synthetisches Zeug? Erkennbar an Bezeichnungen, die etwa mit „Poly“ beginnen? Dann kleiden Sie sich in Erdöl.

Es ist doch nicht nur so, dass in Autos und Flugzeugen, für Strom oder Heizungen fossile Brennstoffe verheizt werden. Auch alles aus Plastik basiert auf Erdöl, und dazu gehört Wolle aus Kunststoff. 60 Prozent aller Bekleidung soll laut Greenpeace Polyester enthalten.

Echte Wolle, die von Tieren ist gemeint, wärmt dagegen, weil sie viel Luft in den Fasern hat. Luft isoliert. Synthetisches Material kann zwar ebenfalls so hergestellt werden, dass es Luft in den Fasern hat, aber es ist anders als Wolle kaum saugfähig. Der Schweiß bleibt auf der Haut – im Winter ist das nicht gut. Im Sommer wiederum kann ein Wärmestau unter synthetischer Kleidung entstehen, wie auch unangenehme Gerüche durch Schweiß.

Sie sehen, worauf ich hinaus möchte: auf Schurwolle, auf richtige Wolle. Die von Schafen, Lämmern, Merinoschafen und Angorahasen, von Kaschmirziegen, Yaks, Alpakas, Lamas, Kamelen und Guanakos. Selbst das Haar von Possums, Beutelsäugern aus Australien, die als invasive Art nach Neuseeland eingeschleppt wurde, dort keine Feinde hat und extremen Schaden anrichtet, ist für Wolle zu gebrauchen. Ich würde auch gerne einmal die alleralleredelste Wolle des Lama-Verwandten Vikunja verstricken, wenn mich jemand sponserte. Denn 25 Gramm kosten 225 Euro, das Material für einen Pullover also mindestens 2.500 Euro.

Wenn ich diesem schlimmen Krieg in der Ukraine etwas abgewinnen kann, dann, dass jetzt ein Großteil der West­eu­ro­päe­r:in­nen die Landkarte besser kennt. Das ist wichtig, denn es ist mit Erkenntnisgewinn verbunden. Begrüßenswert finde ich zudem, dass selbstgestrickte Pullover aus guter Wolle von Tieren wieder angesagt sind. Denn selbstgestrickte Pullover sind in der Regel dicker als gekaufte. Sie wärmen mehr. So können Strom, Öl und Gas gespart werden.

Selbstgestrickte Pullover sind in der Regel dicker als gekaufte. Sie wärmen mehr. So können Öl und Gas gespart werden

Hinzu kommt: Weil richtige Wolle einen selbstreinigenden Effekt hat, muss sie nur selten gewaschen werden, was ebenfalls Strom spart. Synthetisches Zeug jedoch sorgt beim Waschen dafür, dass Mikroplastik in den Wasserkreislauf gerät. 35 Prozent des Mikroplastiks im Meer soll aus der Textilindustrie kommen.

In den letzten Jahren war es schwer, es in Selbstgestricktem überhaupt auszuhalten. Denn die Winter waren zu warm und die Wohnungen zu aufgeheizt. Jetzt aber, wo 18 Grad Maximaltemperatur die Maxime unseres Handels sein sollten, aus ökonomischen, solidarischen und klimapolitischen Gründen, ist Selbstgestricktes wieder unverzichtbar. Mit Wolle bekleidet sind selbst 17 Grad angenehm.

Und damit nun wirklich zum Stricken. Eigentlich war der Plan doch, etwas darüber zu schreiben. Über diese über tausend Jahre alte Kulturtechnik, die denen, die sie beherrschen, eine unglaubliche Bereicherung und Freude ist. So wie mir.

Das Gestrickte ist wie ein Tagebuch. Gelungene Stücke – was im Umkehrschluss heißt, dass es auch misslungene gibt –, erzählen Geschichten aus meinem Leben. Denn weggeworfen werden sie nicht. Und wenn doch, spielt das hier auch noch eine Rolle: Richtige Wolle ist sehr gut recycelbar. Ich trenne mitunter auch altes Gestricktes auf und stricke neues daraus.

Man braucht viele Stunden, um einen Pullover fertigzustellen. Ich stricke sie, und auch Jacken, nur noch vom Hals aus nach unten. Sollte sich die Wolle beim fertig gestrickten Teil aushängen, kann leichter gekürzt werden. Oder wenn die Ärmel sich als zu kurz herausstellen, leicht etwas darangestrickt. Wolle verhält sich mitunter eigenwillig.

Früher war Stricken ein Männerberuf. Erst mit der Erfindung der Strickmaschinen wurde es eine Beschäftigung, der vorwiegend Frauen nachgehen, weil Handgestricktes nicht adäquat bezahlt wird. Dabei ist die Geschichte der Handstrickerei voller Widerstände und Wunder. Etwa strickten Frauen in ihre Arbeiten auch Geheimdienstinformationen hinein. Rechte und linke Maschen sind wie die Nullen und Einsen des binären Codes, wie das Lang und Kurz des Morsealphabets. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg haben strickende Frauen in ihrem Gestrick Feindbewegungen weitergegeben, im Ersten Weltkrieg auch.

Selbst für Protestbewegungen ist das Handstricken gut. Da sind die Tricoteusen während der Französischen Revolution. Strickend saßen sie in der Nationalversammlung. Gezeigt werden sollte, so Historiker:innen, dass Frauen gesellschaftliche Teilhabe wollen.

Und in der Gegenwart? Da umstricken Frauen mitunter Bäume, Monumente oder Panzer, wie 2013 den vor dem Militärhistorischen Museum in Dresden, um ihre Sicht auf Politik, Kultur und Krieg zu zeigen. Die Pussyhats, diese pinkfarbenen Mützen mit zwei Ohren, die Frauen massenhaft während Donald Trumps Präsidentschaft strickten und trugen, waren auch ein Statement. Sie sollten Trumps Sexismus entlarven.

Auch meine Lieblingsjacke, die ich gerade sehr wertschätze, erinnert mich an Politik. Ich habe sie vor dem 24. Februar 2022 aus Wolle der Orenburger Ziege gestrickt. Die kommt aus Sibirien, wo die Ziege gezüchtet wird. Dort weiß man, wie Wolle sein muss, damit sie wärmt. Ich aber denke jetzt, wenn ich sie trage, an den Krieg in der Ukraine, dieses sinnlose Gemetzel dort, diese abartige Zerstörung eines Landes, diese von bösartigen Menschen geprägte Politik. Und ich denke an die Leute in Sibirien, deren Wolle ich nun boykottiere und von denen ich glaube, dass sie diesen Krieg auch nicht wollen.

Wolle und wollen – gibt es da einen Zusammenhang? Ich stelle mir das Wollen nicht als etwas Erratisches vor, sondern als einen Faden, den ich zu mir ziehen kann. Das wird es sein.

Die sibirische Wolle kratzt übrigens ein wenig, wenn man sie auf der Haut trägt. Und weil sie ähnlich ist wie Mohair, fliegen mitunter feine Härchen durch die Luft, die in der Nase kitzeln.

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