Selbstbestimmt leben: Abtreiben bleibt schwierig
Paragraf 219a wird nun gekippt. In Berlin bleibt jedoch der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiterhin kompliziert und teuer.
Wenn Paragraf 219a am Mittwoch aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird, werden Frauenärzt*innen und Leiter*innen von Beratungsstellen in Berlin zwar aufatmen. Der Paragraf hatte es untersagt, für Schwangerschaftsabbrüche zu „werben“ – und kam in der Praxis einem Informationsverbot gleich. Doch mit seinem Wegfall sind längst nicht alle Probleme um Schwangerschaftsabbrüche vom Tisch, betont Jutta Pliefke, Frauenärztin im Beratungszentrum Balance, am Montag bei einem Pressegespräch anlässlich der Streichung von 219a. „Ein Hauptproblem bleibt: Schwangerschaftsabbrüche sind weiter über das Strafgesetzbuch geregelt. Frauen, die zu uns in die Beratung kommen, haben dadurch oft das Gefühl, dass sie etwas Verbotenes machen. Dabei sollten Abbrüche Teil der Gesundheitsfürsorge sein.“
Pliefke kritisiert zudem die Wartezeit. Wer sich für einen Abbruch entscheidet, muss nach einem verpflichtenden Beratungsgespräch drei Tage Bedenkzeit verstreichen lassen. „Die Zeit fehlt oft später“, sagt sie. Eigentlich hätten die Frauen das Recht, die Art des Eingriffs – operativ oder medikamentös – selbst zu bestimmen. „Diese Wahlfreiheit ist bedroht, wenn es etwa für bestimmte Methoden zeitlich zu knapp wird.“
In Berlin werden rund 10.000 Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr durchgeführt. Die Zahl sei seit Jahren etwa gleichbleibend, berichtet Christine Tennhardt, ebenfalls Gynäkologin und im Vorstand vom Netzwerk Ärztinnen for Choice Berlin, das sich für Selbstbestimmung in der Familienplanung einsetzt. „Mehr als die Hälfte der Abbrüche sind medikamentös“, sagt sie. Im Vergleich mit anderen Bundesländern liegt Berlin demnach mit rund 10 Schwangerschaftsabbrüchen auf 1.000 Frauen ganz vorn. Vermutlich ziehe die Metropole auch Frauen von außerhalb an, so Tennhardt.
Liste mit Praxen
Im Vergleich mit anderen Bundesländern sei auch die Zahl der Praxen über die Jahre gleichbleibend – ein Umstand, der laut pro Familia auch der vergleichsweise starken politischen und verbandlichen Lobbyarbeit zu verdanken ist. Die Gesundheitsverwaltung stellt seit einigen Jahren eine Liste zusammen von Praxen, die den Eingriff durchführen. Derzeit hat sie 127 Einträge.
„Wir würden es begrüßen, wenn auch die Kliniken verlässlich Abbrüche bei medizinischen Indikationen durchführen würden“, sagt Pliefke, das sei in Berlin nicht bei allen der Fall. „Besonders wenn es schwierigere Fälle und größere Eingriffe sind, müssten die in einer Klinik durchgeführt werden“, ergänzt Sibylle Schreiber, Landesgeschäftsführerin von pro Familia Berlin. „Aber zum Teil finden die Beratungsstellen keine Klinik.“ Darum müssten viele Frauen am Ende sogar ins Ausland für ihren Abbruch. Der Rechtsanspruch von Frauen auf einen Abbruch werde also auch in Berlin teils verhindert, „weil es niemand macht“, so Schreiber.
Pliefke berichtet daher von einer Bewegung „Richtung Westen“: Einerseits würden Frauen aus Berlin etwa in die Niederlande reisen, um dort einen Abbruch durchzuführen. Andererseits kämen Frauen aus Polen nach Berlin, um hier einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. In Polen sind Abbrüche seit Anfang 2021 kaum noch möglich. „Jetzt kommen außerdem Frauen aus der Ukraine, die in Polen leben“, sagt Pliefke.
Proteste vor Beratungsstellen
Auch sonst gerieten Frauen leicht unter Druck: „Auch in Berlin hatten wir schon Kundgebungen vor Beratungsstellen von Abtreibungsgegner*innen“, berichtet Pliefke. „Das ist sehr belastend für die Frauen, die zu uns kommen, und kann traumatisierend wirken.“ In Hessen gebe es einen Erlass vom Innenministerium, wonach Beratungsstellen ungehindert zugänglich sein müssen. „Auch Berlin könnte verfügen, dass solche Demos außer Hör- und Sichtweite des Eingangs stattfinden müssen“, meint sie.
Ein weiteres Problem sieht Pliefke in der Finanzierung – Abbrüche kosten 200 bis 570 Euro und werden nicht von der Kasse übernommen. Wer wenig Geld verdient, kann die Kostenübernahme vom Land beantragen – das machen in Berlin im bundesweiten Vergleich besonders viele Frauen. „Da müssen sie aber sehr viel offenlegen, etwa die Miete, Einkommensnachweise, die Krankenkasse.“ Manche hätten Bedenken, dass Daten weitergegeben würden oder Dritte von der Schwangerschaft erfahren könnten, etwa weil sie familienversichert sind. „Das müsste einfacher geregelt werden“, fordert sie.
Seit Dezember 2020 ist beim Beratungszentrum Balance außerdem ein Pilotprojekt zu einem „Schwangerschaftsabbruch zu Hause“ angesiedelt: Dabei werden Abtreibungspillen per Post versandt und der Abbruch selbst „telemedizinisch begleitet“. Die Organisation Women on Web möchte damit sichere und bezahlbare Zugänge zur Abtreibung bieten. Der Bedarf sei groß, sagt die Mitbegründerin und Gynäkologin Jana Maeffert, sie hätten bereits knapp 250 Anfragen. „Nicht alle landen auch bei uns“, sagt sie. „Aber viele sind erleichtert, wenn sie hören, dass es solche Möglichkeiten gibt.“
Denn: je höher die Hürden, desto größer der Stress für die Betroffenen. „Der Zugang sollte wohnortnah und einfach sein. Wir sehen gerade nicht, dass sich die Politik wirklich dafür einsetzt“, sagt Tennhardt.
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