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Sektensiedlung Colonia Dignidad in ChileAuf dem Weg zur Gedenkstätte

Die ehemalige Sektensiedlung Colonia Dignidad soll zu einem Ort des Erinnerns werden. Chile will nun Teile des Geländes ihren Besitzern entziehen.

Hat mit seinen Enteignungsplänen überrascht: Chiles Präsident Boric Foto: dpa

Berlin taz | Chile will Teile der ehemaligen Colonia Dignidad enteignen, um auf dem Gelände einen Gedenk­ort einzurichten. Das verkündete der chilenische Präsident Gabriel Boric überraschend am Samstag. „Die Herausforderung der Menschenrechte und der Erinnerungskultur kennt keine Grenzen“, erklärte Boric drei Tage nach einem Treffen der chilenisch-deutschen Regierungskommission zur Aufarbeitung der Colonia Dignidad, die seit 2017 an der Errichtung eines Gedenk-, Dokumentations- und Lernortes arbeitet. Als „Ergebnis dieser Kooperation“ verkündete Boric, die Regierung habe „einen Prozess zur Enteignung von Teilen des Geländes“ in Gang gesetzt, „darunter auch das frühere Haus von Paul Schäfer“.

Der 2010 im Gefängnis in Santiago de Chile verstorbene Schäfer war die Führungsfigur der 1961 in Chile gegründeten deutschen Sektensiedlung. Die Be­woh­ne­r:in­nen mussten jahrzehntelang Zwangsarbeit verrichten und waren sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Während der Diktatur (1973–1990) kooperierte die Führung der Siedlung mit dem Geheimdienst, der ein Folterlager auf dem Gelände errichtete. Etwa hundert Gefangene wurden dort ermordet und verscharrt, später wieder ausgegraben und verbrannt. Sie sind bis heute verschwunden.

In der Siedlung, die inzwischen Villa Baviera heißt und als Firmenholding privater Aktengesellschaften organisiert ist, leben derzeit rund 130 Personen. Sie betreiben Landwirtschaft und – für die Angehörigen der Verschwundenen besonders verletzend – einen Hotel-Restaurant-Betrieb in bayerischem Stil. Einen Gedenkort gibt es bislang nicht.

Das „frühere Gelände des Terrors und des Todes“ solle nun in einen „Ort der Erinnerung und der Zukunft“ verwandelt werden, so Boric. Er erklärte, „gemeinsam aus dem Süden Chiles und aus Deutschland mit einer Stimme die Botschaft des ‚Nie wieder‘ in die Welt“ zu senden. „Wir werden eine Trägereinrichtung gründen, die die Umsetzung einer Gedenkstätte übernimmt“, konkretisierte der Leiter der Menschenrechtsabteilung im Außenministerium, Tomás Pascual, gegenüber der taz. Dabei werde ein Konzept für einen Gedenk-, Dokumentations- und Lernort einfließen, das Ex­per­t:in­nen im Auftrag beider Regierungen 2021 erstellt haben.

Boric bald zu Besuch in Deutschland

Die Bundestagsabgeordneten Renate Künast (Grüne), Isabel Cademartori (SPD) und Jan Korte (Linke) begrüßten die Entscheidung Borics, ebenso der in der Colonia Dignidad aufgewachsene Rechtsanwalt Winfried Hempel. Er fordert, dass die Gedenkstätte alle Opfer vertritt.

Die chilenische Rechtsanwältin Mariela Santana zeigte sich überrascht von der Ankündigung, begrüßte sie aber und forderte Beteiligungsmöglichkeiten für alle Betroffenen und die von ihr vertretenen Angehörigen von Verschwundenen.

Die Be­woh­ne­r:in­nen der Siedlung waren auf diese Entwicklung nicht vorbereitet und fühlen sich überrumpelt. Astrid Tymm und Harald Lindemann sind in der Colonia Digniad aufgewachsen und wurden schon als Kinder schwer misshandelt und leben bis heute unter prekären Bedingungen. Tymm sorgt sich darum, ob sie oder andere ihre Wohnung verlieren oder das Gelände verlassen müssen.

Lindemann meint allerdings, „es ist so weit gekommen, weil sich Direktoren (die Leitungspositionen in den Aktiengesellschaften der Villa Baviera besetzen, d. Red.), den Angehörigen der Verschwundenen gegenüber oft feindlich verhalten“ haben. Er erinnert daran, dass Ende 2023 sogar ein symbolischer Gedenkstein gestohlen wurde, den Angehörige von Verschwundenen selbst errichtet hatten.

Er beklagt, dass wenige Personen innerhalb der Villa Baviera Macht und Vermögen besitzen. Im März hatte das Paar zusammen mit anderen Be­woh­ne­r:in­nen auf der Zufahrtsstraße zur Villa Baviera für die Zuteilung von Land und Nachzahlung von Löhnen demonstriert. Nun stehen sie deswegen innerhalb der Siedlung unter Druck.

Wie diese Fragen nun gelöst werden können und welche Rolle Chile und Deutschland im Zusammenhang mit der Gedenkstätte haben werden, könnten beide Regierungschefs klären, wenn Boric ab dem 10. Juni in Deutschland zu Besuch ist.

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2 Kommentare

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  • Man sollte das ganze Unternehmen in eine gemeinnützige Stiftung ohne Beteiligung der bisherigen Führungsriege verwandeln. Dann könnte man viel mehr für viele Geschädigte erreichen.

  • Überfällig!!!!