: Sehnsucht nach den Lüften
Wenn der Aufstand gegen die Mächtigen selbst zur Tyrannei wird: Eigentlich bietet Walter Braunfels‘ Oper „Die Vögel“, in Weimar ein Hit, allerbeste Möglichkeiten der Aktualisierung. In Oldenburg gelingt sie musikalisch, bleibt aber inhaltlich blass

Von Jens Fischer
Wie schön: romantische Sehnsucht nach Liebe und vogeliger Leichtigkeit. Wie hässlich: machistisches Streben nach Macht, grenzenloser Narzissmus. Für diese widersprüchlichen Antriebe stehen Hoffegut und Ratefreund: Vom Leben enttäuscht, langweilen sie sich durch ihren öden Alltag, wollen raus – abheben ins Reich der Fantasie. Dieses verortet Librettist/Komponist Walter Braunfels für seine Oper „Die Vögel“, eben, in den Lüften, bei den Gefiederten. 1913 begonnen, konnte er die Arbeit an dem Stück erst nach traumatischen Weltkriegserfahrungen im Jahr 1920 beenden.
„Die Vögel“ wurden ein Publikumshit der Weimarer Republik. Während die antike Text-Vorlage des Aristophanes wohl als Kritik am kolonialen Treiben Athens zu verstehen war, verweist bei Braunfels die Fabel auf das deutsche Weltmachtstreben, ahnte auch schon die Nazi-Rhetorik und ihre Folgen voraus. 1933 wurden „Die Vögel“ denn auch verboten, so wie alle anderen Arbeiten des „Halbjuden“ Braunfels. Zurück ins Repertoire deutscher Opernhäuser kehrten sie erst in den 1990er-Jahren.
In Oldenburg behauptet Regisseur Holger Potocki die beiden Hauptfiguren als zwei Seelen, ach, in ein- und derselben Brust. Schon als sich die Ouvertüre spätromantisch aus dem Orchestergraben erhebt, zeigt ein Schwarz-Weiß-Film Hoffegut (Jason Kim) in seinem trostlosen Bürojob: Traurig blickt er auf ein zerrissenes Foto der Ex-Partnerin und sehnsüchtig dem vorm Fenster flatternden Getier hinterher. Daheim kippt der einsame Protagonist noch ein Schnäpschen in sich hinein, steigt ins klapprige Bett – und wendet sich lächelnd schlummernd den flatternden Wesen zu, die das Staatsorchester tirilieren lässt.
Oper „Die Vögel“. Letzte Vorstellungen: Sa, 14. 6. sowie Do, 26. 6., Oldenburgisches Staatstheater, Großes Haus
Eine weitere Deutung der Oper (Regie: Kerstin Steeb) ist seit Ende März in Braunschweig zu erleben – letzte Vorstellung: So, 15. 6., Staatstheater Braunschweig, Großes Haus (Einführung 45 Minuten früher in der Hausbar)
Aus demselben Bett kriecht aber auch Antipode Ratefreund (Arthur Bruce) auf die Traumbühne, wo der ulkig kunterbunte Opernchor ausgelassen feiert. Ratefreund nun erinnert das geflügelte Völkchen an glorreiche Zeiten, er lässt sich zum Herrscher küren und als Visionär einer goldenen Zukunft schmücken. Aus aller Freiheitsutopie aber wird bei ihm Despotie: Die Vögel tauschen ihre farbenfrohen Kostüme gegen gräulich-fade, als der Kampf gegen die herrschenden Götter losgeht.
Vor der Hybris, gegen sie gewinnen zu können, warnt, aus eigener leidvoller Erfahrung, der vorbeischauende Prometheus und haut dabei auf den Tisch, dass alle Vögel wie Dominosteine umfallen. Sie rappeln sich aber wieder auf und provozieren weiter: mit einem Festungsbau zwischen Himmel und Erde, der in Oldenburg aussieht wie ein billiges Einfamilienhaus und auch gleich wieder zusammenfällt, als der Göttervater den Aufstand beendet – per Katastrophengewitter. Nun preisen ihn wieder alle duckmäuserisch, er hat schließlich Ordnung geschaffen. Und alles bleibt, wie es war.
Will die Aufführung mehr? Im Bühnenhintergrund sind zusammengepresste Weltkriegs-Hinterlassenschaften zu erahnen. Aber die Handlung an die Entstehungszeit anzuschließen – oder auch die Demagogie Ratefreunds an heutige Tendenzen –, verfolgt die Regie nicht weiter. Sie bekommt auch die Doppelnatur des Protagonisten nicht richtig zusammen: Die introvertierte Kitschseele des Verwaltungsangestellten Hoffegut verliebt sich kitschsatt in die Koloraturen der Nachtigall, erlebt aber nicht wie in anderen Inszenierungen orgastischen Sex; nein, platonische Zugewandtheit reicht ihm fürs Glücklichsein. Derweil besäuft sich das trumpistische Mackertum in der Ratefreundgestalt angesichts der scheiternden Revolution.

So gestimmt geht‘s zurück auf Anfang, zum Aufwachen nach Hause. Ohne dass die beiden als gegensätzliche Antriebe des menschlichen Seins groß in Interaktion gebracht wurden und so eine Auseinandersetzung hätte stattfinden können. Es verpuffen auch alle Möglichkeiten, das Thema Masse und Macht zu vertiefen. Ratefreund wird einfach verdrängt, und Hoffegut erntet am Schluss das freundliche Lächeln seiner Bürokollegin.
Musikalisch ist der Abend allerdings betörend: Generalmusikdirektor Hendrik Vestmann setzt auf ein warmes, volles, ausdifferenziertes Klangbild, feiert die symphonisch strömende Melodik und lässt nicht nur die Kriegstreiber- und Gewitterpassagen kraftstrotzend bis -protzend erklingen. Mit der musikalischen Wucht lassen sich die Gefühlsbatterien des Publikums zu 100 Prozent aufladen.
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