■ Vorlauf: Sechs Tage Anhörung
„Die Mutter und die Mörder“, Samstag, 18.20 Uhr, WDR
Es ist schwer, für das Grauenhafte Bilder und Worte zu finden, die es selbst nicht auslöschen, nicht zur spekulativen Ware verkommen lassen. Manchmal gelingt es – dann meist nie mit dem bloßen Abbilden. Sterbende, Verstümmelte, Gefolterte werden in ihrer Summe zu einer Ikonographie des Terrors, stehen nicht mehr für das jeweilige Einzelschicksal. Sie werden zu einem einzigen sprachlichen Zeichen, das dem Zuschauer bedeutet: „unsagbares Grauen“. Das Bild steht dann – wie Vilém Flusser schrieb – zwischen dem Betrachter und der Realität.
Clarissa Ruge und Dobrivoie Kerpenisan jedoch ist es mit „Die Mutter und die Mörder“ gelungen, einen Einblick in das Tragische von Unterdrückung und Mord zu geben. Es wird dort sichtbar, wo die Bildermacher dem Betrachter Zeit geben, zu betrachten und nicht von einer „Attraktion“ zur nächsten hetzen. Ihre Dokumentation über die Wahrheitskommission in Südafrika schafft es, an einem Beispiel die Tragödie des Landes sichtbar zu machen. Im April 1994, nach dem Ende der Apartheid, stellt sich die Frage: „Wie mit den Tätern verfahren?“ Nicht Vergeltung oder allgemeine Amnestie, sondern Vergebung soll die Zukunft des Landes bestimmen. Die Truth and Reconciliation Commission wird gegründet, die den Opfern und deren Angehörigen erlaubt, ihre Geschichte zu erzählen. Die Täter müssen – wollen sie umfassend amnestiert werden – ihre Taten in jeder Einzelheit öffentlich beichten. Ruge und Kerpenisan begleiten die Mutter eines von Polizisten ermordeten schwarzen Studentenführers zu einer sechstägigen Anhörung und destillieren daraus eine distanzierte Momentaufnahme südafrikanischer Befindlichkeit. Sie verwenden nicht mehr Zeit als notwendig auf die grausamen Details des Falls, sondern geben der Anhörung Raum. Die institutionell geregelte Begegnung der Mörder und der Familie wird so zum Präzedenzfall der Idee der Vergebung, die hinter der Kommission steckt. Matthias Zuber
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen