: Scientology: „Logik“ der Bedrohung
■ Der Schweizer Journalist Hugo Stemmer beobachtet seit 20 Jahren die Arbeit von Sekten
Suchen nach neuen Lebenswegen? „Das ist das Privileg der Jugend – bis in Grenzbereiche hinein“, sagte der Schweizer Journalist Hugo Stemmer am Dienstag abend in der Bremer Kunsthalle. „Aber es muß eine Rückfahrkarte geben. Die gibt es bei Sekten nicht.“ Dennoch, Sekten-Experte Stemmer, auf Einladung des Vereins „Sektenberatung“ nach Bremen gekommen, hält nichts von Verteufelung. Er hat Verständnis für die Sehnsüchte der Menschen – sogar dafür, daß sie sich Sekten zuwenden, weil ihre Wünsche im Alltag nicht befriedigt werden. Doch er warnt vor den Organisationen – auch wenn er dem Engagement des einzelnen Sektenmitglieds Respekt zollt, „weil es in seinem System hochmoralisch und mit bewunderungswürdigem Einsatz arbeitet“.
Die Attacken der Scientologen gegen ihn selbst, den symbolischen Totenkopf an der Hauswand bis hin zur Beschattung durch Detektive und Diffamierung durch Veröffentlichungen, nimmt er deshalb „nicht persönlich“. Das alles sei innerhalb des funktionierenden Sekten-Systems geradezu logisch, sagt er gelassen. Umso schärfer kritisiert er das System selbst. Seine Waffen sind die Moral, „denn mit ihren Techniken werden die sehnsuchstvollen Opfer Täter“ – und die detaillierte Darstellung der ausgefeilten Methoden, mit denen die Kulte Unterdrückung und psychische Zerstörung produzieren.
Stammer differenziert bewußt: Seit über 20 Jahren ist er Sektenbeobachter. Er kennt ihren Sog und weiß, daß der noch unwiderstehlicher wird, je weniger der erste Eindruck aus der Nähe mit einem verzerrten Sekten-Horrorbild der Medien übereinstimmt. Das will er verhindern, denn die Sekten arbeiten damit. Sie stellen sich gegenüber Neuangeworbenen als Opfer von Verleumdung dar – schließlich könne man sich an Ort und Stelle von der Harmlosigkeit überzeugen, heißt es dort. Und schon entstehe Vertrauen, das später mißbraucht würde.
Der Journalist und Warner griff diese Strategie auf – und wendete sie gegen Scientology und andere Sekten, die zwar mit anderen Zielvorgaben aber sehr ähnlichen Methoden operierten: Gerade die ersten Phasen der Manipulation, die „Anwerbung“ und die „Einführung in die Heilslehre“, hätten Köderfunktion. Da sei der Umgang noch locker und die Preise für die Kurse noch relativ günstig. Das ändere sich jedoch, sobald die Neulinge die ersten Lektionen der Lehre intus haben. Dann gebe es Zuckerbrot und Peitsche. Ein fein abgestimmtes „Runtermachen und Wiederaufrichten“ diene der Zerstörung der Identität – und das gehe schnell: „Nach sechs Wochen intensivem Engagement in einem Trainingscenter sind die Angeworbenen nur noch selten zu erreichen – wenn überhaupt noch Gespräche zustandekommen“.
Diese brutale Erfahrung machte der Journalist im Auftrag verzweifelter Eltern: „Nach meinen ersten Veröffentlichungen wandten sich viele Angehörige an mich, mit der Bitte zu helfen. Aber selbst wenn ich bei Sektenneulingen mal die Fassade ankratze, ernte ich oft eher Agression als Zustimmung.“
Der Ausbruch aus den Sekten, die individuelle Sehnsucht gekonnt mit Druck und Angst kombinieren, sei schwer. Vorher komme oft die Verschuldung ihrer AnhängerInnen. Denn die heilsversprechenden Seelenrettungs-Kurse bei Scientology sind teuer. „Auditing“-Einzelsitzungen kosten bis zu 1.500 Mark die Stunde. Wer das nicht bar hat, schuftet für den Kult – bis zu 15 Stunden täglich.
„Danach denkst du nichts mehr“, berichtete der Scientology-Aussteiger Daniel Fumagalli von eigenen Erfahrungen. Ihm gelang die Flucht; seine rund 140 ZuhörerInnen staunten: „Ich packte meine Tasche und tauchte monatelang unter.“ Daß er heute in Ruhe lebt, erklärt er mit seiner Distanz zur „Lehre“: Denn der Psychoterror habe nur eine Wirkung, wenn man für die Argumente noch zugänglich ist.
Bei aller Bedrohung, die in den Methoden und der Wirtschaftsmacht der Scientology-Sekte liegt, sei ihr Verbot eher gefährlich als hilfreich. „Sonst gehen sie in den Untergrund, wo das enden kann, sahen wir bei den Davidianern in der Schweiz und Canada, bei den Toten von Waco und jetzt bei den Giftgasangriffen in Japan“. Doch alle legalen Mittel müßten ausgeschöpft werden: Die Parteiausgrenzungsbeschlüsse von SPD, CDU und FDP gegenüber Scientologen seien zu begrüßen. Der Gesetzgeber müsse auch prüfen, ob Heilungsversprechen überhaupt gemacht werden dürften. „Und man muß sich fragen, ob tausend Mark für eine sogenannte Therapiestunde nicht Wucher ist.“ Vor allem die gewinnbringende Steuerbefreiung für Kirchen müsse tabu bleiben: „Daß die Sekte nichts als Geld will, hatte ihr Gründer Hubbard bereits öffentlich zugegeben.“ ede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen