Sci-Fi-Actionfilm „Black Widow“: Rache statt Weltrettung
Der Film über zwei Schwestern soll eine Ehrung der im Marvel Cinematic Universe oft übergangenen weiblichen Figur sein.
Irgendwas ist anders, wenn man über die Superhelden-Filme aus dem Hause Marvel sprechen möchte. Sie einzeln zu betrachten im Stil von „spannendes Action-Drama, das Spaß macht“ geht nur noch als onkelhafte Parodie. Um den jeweiligen Film einordnen zu können in das sich aufblähende „Marvel Cinematic Universe“ (MCU), ist jedoch mittlerweile eine derartige Einarbeitung vonnöten, dass man Gefahr läuft, nur noch Kontext zu erklären, während man in jedem gefälligen Selbstzitat eine tiefere Bedeutung wittert.
Gleich mehrfach wird in „Black Widow“, dem 24. Kinofilm des MCU, die von Scarlett Johansson gespielte Titelfigur auf ihre „neuen Freunde“, die „Avengers“, angesprochen. Aber nur an zwei Stellen lohnt es, über den Verweis tatsächlich nachzudenken. Mit der spöttischen Bemerkung darüber, dass der „Gott aus dem All“ wohl kaum Ibuprofen einwerfen müsse nach einem Kampf, stellt die kleine Schwester von Natasha Romanoff – so der „bürgerliche“ Name der Heldin – nicht weniger als deren „Integration im Westen“ in Frage.
„Black Widow“, USA 2020. Regie: Cate Shortland, mit: Scarlett Johansson, Florence Pugh, Rachel Weisz. Disney, 133 Minuten
Und dann äfft die von Florence Pugh mit echtem Kleine-Schwester-Trotz gespielte Yelena auch noch die „typische Handbewegung“ der Black Widow nach, jenes spinnenhafte Posieren mit vier Gließmaßen und dem aufreizenden Erheben des Kopfs dazu. Es ist fast eine Majestätsbeleidigung.
Die Darstellung der Schwesternbeziehung bildet einen der Höhepunkte des Films, auch wenn damit zugleich eines seiner größten Nachteile verbunden ist: Yelena, die hier sichtlich als zukünftiges MCU-Ensemble-Mitglied vorgestellt wird, bekommt so viel zu tun, dass Natasha in ihrer eigenen „origin story“ zur Nebenfigur wird.
Ein Filmbastard
Was umso bitterer ist, da ihr weitere Sequels ja versagt sind, weil sie sich in „Avengers: Endgame“ zum Wohl der Weltrettung und Jeremy Renners „Hawkeye“ geopfert hat. Anders als den Fans versprochen, handelt es sich bei „Black Widow“ weniger um die lang fällige Ehrung einer der im MCU ohnehin zu oft übergangenen weiblichen Figuren, sondern um eine unentschieden zwischen Prequel, Spin-off und Hommage hin und her schwankenden Film-Bastard.
Eine gewisse Frankenstein-haftigkeit gehörte zwar schon immer zum Genre, „Black Widow“ setzt diesbezüglich aber neue Maßstäbe: Diverse Spionage-Serien und Paranoia-Thriller aus Film und Fernsehen werden hier dem Marvel-Treatment unterzogen, um ein nie ganz kohärentes Ganzes zu ergeben. Die laut Einblendung 1995, laut Kostümierung aber noch zu Zeiten des Kalten Kriegs spielende Eröffnungssequenz erscheint als plumpe Imitation der Serie „The Americans“.
David Harbour und Rachel Weisz spielen ein undercover lebendes Russen-Ehepaar in Ohio, das eines Tages das in der Garage versteckte Flugzeug starten muss, um mit seinen zwei kleinen Töchtern Natasha und Yelena schnell nach Kuba zu entfliehen. Im Transit stellt sich dann, oh Schreck, heraus, dass sie gar keine echte Familie sind, sondern für den Job „gecastet“ wurden! Eine kurze Einblendung von Ray Winstone als Bösewicht Dreykov genügt, um deutlich zu machen, dass für die kleinen Mädchen da das Trauma erst beginnt.
Die Handlung setzt gut zwei Jahrzehnte später ein – was immer sich in „Captain America: Civil War“ abgespielt hat, ist gerade vorbei – und führt die beiden nun von Johansson und Pugh gespielten Schwestern und dann die ganze „Familie“ wieder zusammen. Fast originell erscheint, dass es weniger um die Rettung der Welt geht, sondern dieses eine Mal tatsächlich um einen Akt der Rache: Natasha und Yelena wollen Dreykov endlich bluten sehen.
Geschwisterkonkurrenz und Verlustängste
Überhaupt zeichnet sich „Black Widow“ dadurch aus, dass der Plot echtes Potenzial für ein mitreißendes Drama hätte, das von Geschwisterkonkurrenz, Verlustängsten und schwierigen Vater-Töchter- bzw. Mutter-Töchter-Beziehungen handelt. Leider findet der Film dafür nie die Zeit, weil schon wieder die nächste Actionsequenz folgen muss, und zwischen dem Schlagen, Ballern und In-die-Luft-Gehen allenfalls Platz für smarte One-Liner bleibt.
Regisseurin Cate Shortland versucht zwar mit Nahaufnahmen und sprunghafter Montage ein bisschen Arthouse-Reality-Feeling zu setzen, aber das nötige CGI macht ihr immer wieder einen Strich durch die Rechnung.
Dass die russischen Figuren in der Originalfassung meistens Englisch mit erfundenem Akzent sprechen, kommt als ausgesprochen altbackene Entscheidung daher. Wie überhaupt die von Harbour und Weisz gespielten Figuren in ihrer Grobschlächtigkeit und Roboterhaftigkeit etwas plump die Kinotradition des Kalten Kriegs aufgreifen, wo man sich den Sowjetmenschen stets als gefühlskalt, fremdgesteuert und gehirngewaschen vorstellte.
Dabei gäbe es da so eine interessante Möglichkeit der Erweiterung auch jenseits der ewigen Oligarchen-Bösewichte: das MCU aus Sicht des postsozialistischen Osteuropa, wo die Helden von gestern für neue Zwecke kannibalisiert werden.
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