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Schwules Begehren im Spielfilm „Queer“Last und Lohn des Verlangens

Luca Guadagninos „Queer“ erkundet das Begehren als eine Kraft, die sowohl antreibt als auch zerstört. Daniel Craig besticht darin als schwuler Dandy.

Der eine verlangt, der andere nicht: William Lee (Daniel Craig) und Eugene Allerton (Drew Starkey) in „Queer“ Foto: Mubi

Seit geraumer Zeit sind Luca Guadagninos Filme eine Verneigung vor dem Verlangen. Sie würdigen das Wollen als ein großes Geschenk, das zum Wagen antreibt. Etwas zu wagen, bedeutet in Bewegung zu bleiben, sich die Neugier zu bewahren und sich in Neues zu stürzen. Mit anderen Worten: Verlangen heißt lebendig sein.

Weil die Werke des italienischen Regisseurs diese Wahrheit atmen, und damit letztlich eine Zelebrierung des Am-Leben-Seins und Am-Leben-bleiben-Wollens sind, tragen sie stets einen humanistischen Kern in sich – so unwahrscheinlich das angesichts so manch grenzüberschreitender Elemente seiner Filme auf den ersten Blick auch scheinen mag.

Während sich Guadagnino in „Call Me by Your Name“, durch den er 2017 eine größere Bekanntheit erlangte, dem Sehnen des jungen Elio nach einem deutlich älteren Mann widmete, verwebte „Bones and All“ den monströsen Appetit zweier junger Kannibalen mit dem humanen Hunger nach Verbundenheit.

Erst im gerade vergangenen Jahr überraschte der Filmemacher in „Challengers“ wiederum mit einer erstaunlich leichtherzigen Annäherung an sein angestammtes Thema, die existenzielle Bedeutung des Verlangens. Das Sportliebesdrama spielte die Regeln des Wagens und Wollens im gutgelaunten Kontext eines Liebesdreiecks zwischen gutaussehenden Tennisprofis durch.

Nach dem Roman von William S. Burroughs

Vor dem Hintergrund dieses dem Sehnen so wohlgesinnten Schaffens wirkt es wie ein Widerspruch, dass Gua­dagnino sich mit seinem neuen Film nun des lakonischen Romans „Queer“ von William S. Burroughs annimmt. Der Schriftsteller, der als einer der wichtigsten Vertreter der Beat Generation gilt, erzählt darin immerhin von den quälenden Schattenseiten des Begehrens: der vergeblichen Suche eines Dandys mittleren Alters nach menschlicher Verbindung.

Burroughs’ stark autobiografisch geformtes Alter Ego, William Lee, streift in Mexiko-Stadt der frühen Fünfziger durch die schwule Community US-amerikanischer Auswanderer. Er treibt sich in Bars herum, gibt extravagante Anekdoten zum Besten und betäubt sich mit Mezcal und Tequila oder, an glücklicheren Tagen, mit schnellem Sex.

Der Film

„Queer“. Regie: Luca Guadagnino. Mit Daniel Craig, Drew Starkey u. a. Italien/USA 2024, 137 Min.

Erst die Bekanntschaft mit einem jüngeren ehemaligen US-Soldaten erweckt in ihm erneut die Hoffnung auf tatsächliche Nähe: Eugene Allerton ist überaus attraktiv, zeigt ein gewisses Interesse am älteren Lee – oder lässt sich zumindest durch dessen Wortgewandtheit und kleine finanzielle Gefälligkeiten zu einem schwankenden Maß an Aufmerksamkeit bewegen.

Die Unsicherheit in der Beziehung zu Allerton verstärkt allerdings bald Lees selbstzerstörerische Züge. Ob der wiederholten Zurückweisungen verfällt er seiner langjährigen Sucht nach harten Drogen, nach Heroin, Kokain und Opia­ten noch weiter.

Vom Macher von „Call Me by Your Name“

Anders ausgedrückt: Dem Verlangen, das William S. Burroughs in „Queer“ beschreibt, fehlt letztlich das lebensbejahende Moment, das spätestens seit „Call Me by Your Name“ für Guadagninos Werke eigentlich so bezeichnend ist.

Indem die Adaption der literarischen Vorlage weitgehend folgt, erforscht Gua­dagnino mit „Queer“, der im Wettbewerb von Venedig seine Premiere feierte, tatsächlich erstmals eine finsterere Facette des Verlangens und zeigt es als Geschenk, das sich durchaus in eine Grausamkeit verwandeln kann, wenn es niemals gestillt wird.

Auch der filmischen Version von Lee gelingt es nicht, bedeutungsvolle Beziehungen aufzubauen. Im Auftakt ist er als in einen mondänen weißen Leinenanzug gekleideter Lebemann zu sehen, der nach einer neuerlichen Verführung giert, schließlich scheitert und sich schnell in die nächste oberflächliche Plauderei stürzt, um sich bei Laune zu halten.

Schwitzend und trinkend sitzt er im nächsten Moment mit seinem gleichgesinnten Freund Joe (Jason Schwartz­man) zusammen, der immer wieder von flüchtigen Liebhabern bestohlen wird. Vielleicht, weil sich die Männer so vormachen können, dass es ihnen gar nicht um Sex gehe, überlegt Joe. Lee gibt sich betont abgeklärt, gar amüsiert über die Anekdote, obwohl sie ihn doch an seine eigene Einsamkeit erinnern muss.

Daniel Craig gelingt es herausragend, den ruinösen Balanceakt seiner Figur zu verkörpern

Daniel Craig gelingt es herausragend, den ruinösen Balanceakt seiner Figur zu verkörpern – zwischen innerer Hast, Sucht und dem Versuch, zumindest nach außen souverän zu wirken. Seine nuancierte Darbietung eines stolzen, doch suchenden Mannes trägt bedeutend dazu bei, dass aus Lee in „Queer“ eine komplexere Erscheinung als in der Vorlage erwächst.

Im Zusammenspiel mit traumartigen Sequenzen, in denen Guadagnino sich seinen Protagonisten als körperloses Wesen vorstellen lässt, wird spürbar, dass ihn eine tief verinnerlichte Ablehnung der eigenen Sexualität quält. Auch wenn Lee „sichtbares“ Schwulsein und feminin auftretende Männer mit herablassenden Worten belegt, etwa Travestiekünstler als „Untermenschen“ bezeichnet, wirkt das wie ein verzweifelter Abgrenzungsversuch, aus dem vor allem eine nur leidlich vertuschte Selbstverachtung spricht.

Dass das Drama, zu dem erneut Justin Kuritzkes („Challengers“) das Drehbuch verfasste, dennoch nicht das Gefühl der großen Hoffnungslosigkeit erzeugt, wie es Burroughs’ fragmentarische Niederschrift einer bitteren Verzweiflung tut, hat vor allem mit den feinen, aber ausschlaggebenden Anpassungen zu tun, die „Queer“ auch abseits der detaillierteren Charakterzeichnung von seiner Vorlage abheben.

Und diese finden sich, wenig verwunderlich, vor allem im Kontext der Darstellung des bedeutungsvollen Verlangens – des den Film tragenden Verhältnisses zwischen Lee und besagtem Allerton (Drew Starkey), der personifizierten Verheißung auf ein Ankommen, ein Angenommensein durch einen anderen und damit, vielleicht, auch durch sich selbst.

Den ersten Augenblick, in dem Lee den jüngeren Mann erspäht, inszeniert Guadagnino als Erweckungserlebnis, durch dessen Schönheit „Queer“ bereits seinen Sog entfaltet. Unmittelbar nach einer erneuten Zurückweisung schlendert Lee durch die nächtlichen Straßen der umtriebigen Stadt. Die Kamera von Sayombhu Mukdeeprom („Challengers“) folgt ihm in einer langen sphärischen Einstellung zum Klang des schwebenden Gitarrenriffs aus Nirvanas „Comes As You Are“.

Kurt Cobain und Hahnenkämpfe

Zu Kurt Cobains rauer Stimme und der widersprüchlichen Liedzeile „Come as you are, as you were, as I want you to be“, die das ambivalente Verhältnis zu Allerton antizipiert, bleibt Lee an einer Straßenecke stehen, sieht sich einen Hahnenkampf an, schaut schließlich auf und hält mit staunendem Ausdruck den Blick des vorbeiziehenden, in diesem Moment makellos wirkenden Mannes.

Allertons Gesicht wiederum zeigt ein kleines Grinsen, das sich kaum deuten lässt: Fühlt er sich von der Aufmerksamkeit Lees geschmeichelt? Gefällt auch ihm, was er sieht? Oder belächelt er den älteren Mann sogar, hat seine Begierde sofort durchschaut und für lachhaft befunden? Die Natur von Allertons Interesse an Lee, das binnen Minuten in erbarmungsloses Desinteresse umschlagen kann, ist das zentrale Enigma dieses atmosphärischen Dramas.

„Queer“ folgt daraufhin einerseits den beharrlichen Werbungsversuchen Lees, die zwischenzeitlich auf Erwiderung und eine augenscheinlich wechselseitig befriedigende sexuelle Begegnung stoßen, aber ebenso schnell den Groll seines Geliebten hervorrufen können. Andererseits bebildert Gua­dagnino, wie Allertons ambiges Auftreten Lee allmählich zerreibt.

Insbesondere in der zweiten Hälfte der Handlung, als die beiden Männer durch Südamerika reisen und ihre Beziehung sich als nicht mehr denn ein pragmatischer Pakt herausstellt, leidet Lee nicht nur am Entzug harter Drogen, die abseits Mexikos weniger leicht aufzutreiben sind, sondern auch an Allertons immer offenerer Ablehnung.

Reichtum des Begehren

Einen Ausweg, weniger aus der Abstinenz denn aus der Einsamkeit, verspricht er sich von „Yagé“, das damals noch nicht unter der Bezeichnung „Ayahuasca“ geläufig war. Lee glaubt daran, dass die Pflanze telepathische Fähigkeiten erweckt, Kommunikation ohne Sprache ermöglicht, und damit die größtmögliche, eine rein intuitive zwischenmenschliche Verbindung eröffnet. Diese Hoffnung soll ebenso enttäuscht werden wie jene darauf, dass er in Allerton eine Art der Erlösung finden wird.

In einem surrealen Epilog, der Lee einige Jahre später zeigt, gelingt es Guadagnino aber, dem Verlangen seines Helden die Vergeblichkeit zu nehmen. Eine hypnotische Traumsequenz kommt darin vor, das Universum und sein Farbenspiel, die letztliche Verbundenheit der Dinge.

Während Allerton sich zu diesem Zeitpunkt als ein Mensch erwiesen hat, der nach nichts verlangt und sich schlicht treiben lässt, wird deutlich, dass es Lee ist, der durch sein Sehnen die Fähigkeit besitzt, Schönheit zu sehen – und am Ende womöglich, trotz allem, der Reichere ist.

Mehr als alles andere zeigt Luca Gua­dagnino das Verlangen in „Queer“ als eine Gabe, die es, ungeachtet der Widrigkeiten, unbedingt zu bewahren gilt. Es ist sein bislang ungeschöntester Blick auf das Begehren und in seiner Aufrichtigkeit ebenso wie seinem filmkünstlerischen Anspruch doch der, der mehr noch betört als die, die vor ihm kamen.

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