Schwulenberatung schafft Wohnraum: Mehr Vielfalt am Ostkreuz
Die Schwulenberatung richtet ihren zweiten „Lebensort Vielfalt“ mit Wohnungen für queere Menschen mit Beeinträchtigungen ein.
Das Schönste wäre, das Eckzimmer in der vierten Etage zu bekommen“, sagt Rebecca Reich über ihr künftiges Zuhause im „Lebensort Vielfalt“: „Dann könnte ich übers Ostkreuz auf die Rummelsburger Bucht gucken und von der Sonne geweckt werden.“
Noch wohnt Reich in einem Obdachlosenheim für Frauen. Nach ihrem Coming-Out als Trans-Frau zog die 36-Jährige aus der Wohnung aus, in der sie mit ihrer Ehefrau und zwei Kindern gelebt hatte – und landete auf der Straße. „Ich bin freischaffende Künstlerin. Wenn das bei der Bewerbung um eine neue Wohnung zur Sprache kam, war es vorbei“, sagt sie. Seit fast einem Jahr ist sie deshalb ohne Heimat. Erst übernachtete sie bei Freunden und Verwandten, dann in der Frauen-Notübernachtung.
Das soll sich nun ändern: Reich ist eine der künftigen Bewohner*innen des neuen „Lebensorts Vielfalt“ am Ostkreuz. Das Haus in der Neuen Bahnhofstraße soll queere Menschen mit Fluchthintergrund, psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen beherbergen. Dafür entstehen vier WGs und drei Wohnungen, außerdem ein von der Schwulenberatung betriebenes Café, ein Büroraum und ein Laden. Ende Mai sollen die ersten Bewohner*innen einziehen.
Mitten im Kiez
„Der Standort ist toll, weil er mitten im Kiez und mitten im Leben liegt“, sagt Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung, die das Haus betreibt. „Wir wollen Leute mit Beeinträchtigungen nicht an den Stadtrand abschieben.“ Und trotz der Innenstadtlage sollen die Mieten in den WGs so niedrig bleiben, „dass dort auch Menschen mit Hartz IV leben können“, verspricht er.
Montags bis freitags sollen jeweils sechs oder sieben Betreuer*innen vor Ort sein. Im hauseigenen Café wird „Leuten, die im Haus wohnen, eine Beschäftigung gegeben, um sie an den Arbeitsmarkt heranzuführen“ und damit auch das Haus für den Kiez zu öffnen. „Wir betreuen zurzeit 250 Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen – davon werden einige ans Ostkreuz ziehen. Wir gucken gerade, welche gut zusammenpassen“, so de Groot.
Die Initiative für das neue Haus kam von einem Architekten: „Gemeinsam mit seinem Partner ist er auf uns zugekommen und meinte, sie besitzen ein Grundstück, auf dem sie ein Haus für einen guten Zweck bauen möchten, am liebsten für Geflüchtete“, erzählt de Groot. Eine Anfrage nicht von ungefähr: Schließlich betreibt die Schwulenberatung seit 2016 eine Unterkunft für queere Flüchtlinge. Trotzdem war de Groot anfangs skeptisch: „98 Prozent solcher Anfragen klappen letztlich nicht.“ Nach Beratungen fiel dann die Entscheidung, nicht nur Flüchtlinge am Ostkreuz wohnen zu lassen: „Wir mischen die Bewohner*innen bewusst, damit Integration besser gelingt.“
Die Schwulenberatung ist nicht Eigentümerin, sondern Mieterin des Hauses, – mit einem Vertrag über 30 Jahre: „Das ist super, denn so können wir den Platz lange sichern.“ Das sei wichtig, so de Groot, da Raum für Menschen mit Beeinträchtigungen immer knapper werde: „Hauseigentümer kündigen immer öfter Mietverträge mit den Trägern solcher Angebote, um die Wohnungen teuer zu vermieten oder zu verkaufen.“
Am Ostkreuz entsteht bereits der zweite „Lebensort Vielfalt“ – der erste bietet seit 2012 in Charlottenburg 24 Wohnungen und eine WG, in der acht schwule Männer mit Demenz oder Pflegebedarf leben. Die Schwulenberatung selbst hat in dem Haus ihren Sitz, genauso eine queere Bibliothek und ein Kiezcafé. Ein dritter Lebensort Vielfalt könnte bald am Südkreuz entstehen, das derzeit noch dem Land Berlin gehört – dessen Entscheidung steht allerdings noch aus.
Tag der offenen Tür im neuen Lebensort Vielfalt am Samstag, 26. Mai, Neue Bahnhofstr. 1a
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!