Schwule und lesbische SoldatInnen: Outing in US-Armee erlaubt
US-Soldaten müssen ihre sexuelle Orientierung nicht mehr verheimlichen. Die "don't ask, don't tell"-Regelung in der Armee wird abgeschafft. Einigen geht das aber nicht weit genug.
WASHINGTON afp/dapd | Bislang mussten Homosexuelle in der US-Armee eine schwere Entscheidung treffen: Entweder sie verheimlichten ihre sexuelle Orientierung, oder sie verloren ihren Job. Das ist der Kern der sogenannten "dn't ask, don't tell"-Regel, die Anfang der 90er Jahre unter dem damaligen Präsidenten Bill Clinton eingeführt wurde. Nicht fragen, nichts sagen - damit ist es am Dienstag vorbei. Schwule und Lesben dürfen fortan in den US-Streitkräften dienen, ohne ihre Homosexualität leugnen zu müssen.
Die Abschaffung der Regelung war ein Kernanliegen der Homosexuellen-Bewegung. Nach heftiger Debatte stimmten das Repräsentantenhaus und der Senat im vergangenen Dezember schließlich für ein Ende von "don't ask, don't tell". US-Präsident Barack Obama, sein Verteidigungsminister Leon Panetta und Generalstabschef Mike Mullen gaben Ende Juli endgültig grünes Licht. Obama feierte das Ende einer "diskriminierenden Regelung, die unsere militärische Einsatzbereitschaft untergräbt und die amerikanischen Prinzipien für Gerechtigkeit und Gleichheit verletzt". Dem Militär würden nun nicht mehr talentierte Soldaten vorenthalten, "nur weil sie schwul oder lesbisch sind."
Sein Vorgänger Clinton hatte bereits 1993 versucht, den Homosexuellen-Bann zu beenden, konnte sich mit seinen Generälen aber nur auf die Schweige-Regelung einigen. Dem Kompromiss zufolge konnten Schwule und Lesben in die Streitkräfte eintreten, wenn sie nicht offen zu ihrer Homosexualität standen. Zugleich durfte die Armee Bewerber und Soldaten nicht nach ihrer sexuellen Orientierung fragen. Seit Inkrafttreten der Regelung wurden rund 14.000 Armeeangehörige entlassen, weil sie sich zu ihrer Homosexualität bekannten. Sie können nun ab Dienstag auf Wunsch ihren Dienst wieder aufnehmen.
Bei den Republikanern versuchten Politiker bis zuletzt, die Öffnung der Streitkräfte für Schwule und Lesben zu verhindern. Sie argumentieren, dass dies Zusammenhalt und Einsatzbereitschaft gefährden und dem Ansehen der Truppe schaden könnte. Michele Bachmann, die den erzkonservativen Tea-Party-Flügel im Repräsentantenhaus anführt und sich um die Präsidentschaftskandidatur 2012 bewirbt, sagte etwa, dass sie den Homosexuellen-Bann wieder einführen würde. Mehrere republikanische Kongressabgeordnete forderten in der vergangenen Woche in einem Brief an Panetta einen Aufschub, weil dem Kongress die Einzelheiten der neuen Armeevorschriften nicht zugänglich gemacht worden seien.
1982: Präsident Ronald Reagan erlässt eine Richtlinie, die Homosexuelle vom Militärdienst ausschließt.
1992: Präsidentschaftsbewerber Bill Clinton verspricht im Wahlkampf die Aufhebung des Verbots.
1993: Die "don't ask, don't tell"-Regel wird als Kompromiss eingeführt: Soldaten dürfen ihre sexuelle Ausrichtung nicht verraten, und die Streitkräfte dürfen nicht danach fragen.
2008: Präsidentschaftskandidat Barack Obama verspricht im Wahlkampf die Abschaffung der Richtlinie.
27. Mai 2010: Im Repräsentantenhaus stimmen 234 Abgeordnete für eine Aufhebung der Regel, 194 dagegen. Im Senat wird das Aufhebungsgesetz gestoppt.
9. September, 9. Oktober 2010: Zwei US-Bundesgerichte kommen zu dem Urteil, dass die Richtlinie gegen die Verfassung verstößt.
30. November 2010: Eine Pentagonstudie sieht in der Aufhebung der Richtlinie kein ernsthaftes Risiko für die Einsatzbereitschaft und Kampfstärke der US-Streitkräfte.
15. Dezember 2010: In einem neuen Anlauf stimmen die Abgeordneten im Repräsentantenhaus erneut für die Aufhebung der Richtlinie. Drei Tage später stimmt auch der Senat zu.
22. Dezember 2010: Präsident Obama unterzeichnet das Gesetz zur Aufhebung der "don't ask, don't tell"-Regel.
22. Juli 2011: Obama bescheinigt dem Kongress, dass eine Aufhebung des Verbots nicht die militärische Wehrfähigkeit der USA gefährden würde. Eine im Gesetz verankerte Wartezeit von 60 Tagen vertagt das Ende der Richtlinie auf den 20. September 2011.
Schulungen für den Umgang mit Homosexuellen
Die Streitkräfte haben sich bereits an die neuen Realitäten angepasst. In speziellen Kursen wurden Soldaten in den vergangenen Monaten geschult, wie sie mit offen homosexuellen Kameraden umgehen sollen. Eine Untersuchung des Pentagon zeigte eine Zustimmung unter den Soldaten von insgesamt 70 Prozent für das Ende von "don't ask, don't tell". Nur bei den Marineinfanteristen und anderen elitären Kampfeinheiten war eine Mehrheit gegen die Änderung.
Pünktlich zum Inkrafttreten der neuen Regelung erscheint am Dienstag auch eine Zeitschrift für Schwule und Lesben bei den Streitkräften. Das Magazin OutServe soll auf Stützpunkten der US-Armee verteilt werden. In dem Heft werden Fotos und Biografien von knapp hundert Soldaten veröffentlicht, die sich offen zu ihrer Sexualität bekennen. Die Macher nannten es auf ihrer Webseite einen "historischen" Schritt, dass sich schwule, lesbische oder bisexuelle Soldaten nicht mehr verstecken müssten.
Einigen Aktivisten geht aber auch die neue Regelung nicht weit genug. Sie beklagen, dass Lebenspartner homosexueller Soldaten nicht auf der jeweiligen Militärbasis leben dürften. Außerdem genießen sie auch weiterhin nicht dieselben Rechte wie die Ehepartner heterosexueller Soldaten. Die Homo-Ehe ist zwar mittlerweile in sechs US-Bundesstaaten erlaubt, unter den für die Streitkräfte relevanten Bundesgesetzen ist die Ehe aber weiter als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus