Schwule Schützenbrüder: "Das Gaypeople-Zelt soll kein Separee sein"
Beim hannöverschen Schützenfest gibt es seit zwölf Jahren ein Partyzelt von Homos, aber für alle. Die Koexistenz mit den meist eher konservativ ausgerichteten Schützen funktioniert
taz: Herr Rädecker, gibt es homosexuelle Schützen, die ins Gaypeople-Zelt kommen?
Lutz Rädecker: Ja, klar. Am Sonntag kommt der Schützenkönig aus dem Wendland mit seinem Freund vorbei. Es gibt auch noch andere.
Gibt es eigentlich bisexuelle oder homosexuelle Schützenvereine?
Das gibt es nicht, soweit ich weiß. Es ist wahrscheinlich auch gut so, dass sie ganz normal in den Vereinen aktiv sind.
Sie haben ja schon einige hier getroffen – erzählen sie von Diskriminierungen in ihren Vereinen?
Seit 483 Jahren feiern die Hannoveraner jedes Jahr vom 29. Juni bis 8. Juli das weltweit größte Schützenfest. Es ist ein Mix aus Brauchtum, Hightech und Remmidemmi.
Mit mehr als zwei Millionen Besuchern, die auf dem Festplatz die rund 230 Geschäfte nutzen, rechnen die Veranstalter.
Der Schützenausmarsch gehört zum Kult. Er findet traditionell am ersten Sonntag des Festes statt. Schützen, Folklore- und Karnevalsgruppen, begleitet von mehr als 100 nationalen und internationalen Musikkappellen, marschieren in drei Stunden zwölf Kilometer durch die Stadt.
Nein, davon habe ich noch nicht gehört. Im Gegenteil, es outen sich jetzt immer mehr.
Wie kommt’s?
Ich weiß es nicht. Ist mehr so ein Gefühl. Aber es ist doch schön, dass die sexuelle Neigung in den Hintergrund gerät.
Ist das die Idee, weshalb es das Gaypeople-Zelt seit zwölf Jahren gibt?
Wir wollen lesbisch-schwules Leben in Hannover sichtbar machen. Wir wollen zeigen, dass es zum normalen Leben dazugehört. Das überträgt sich in den Alltag. Nächstes Jahr bewirbt sich vielleicht ein Schwuler auf einen Ausbildungsplatz – und hat eine Chance. Was halt toll ist, ist, dass du zehn Tage lang einen Anlaufpunkt hast. Mitten im Leben. Hier können alle sehen, dass man auch schwul feiern gehen kann. Jeder hat eine homosexuelle Seite. Hier können sich die Leute mal ausprobieren und schauen, ob sie dazugehören.
Auf einem Schützenfest sind ja viele konservative Leute unterwegs – gibt es da auch schiefe Blicke?
Manche verdrehen schon die Augen. Gerade von den Älteren kommen auch so Fragen wie: „Dürfen wir eigentlich hier rein, was sollen wir denn da?“ Antwort: „Feiern vielleicht?!“ Das ist ja das Absurde: Wenn ich in ein anderes Zelt gehe, stelle ich mir diese Frage ja nicht.
Sie haben also keine schlechten Erfahrungen gemacht?
Die Hannoveraner sind es gewohnt, dass die Schwulen beim Schützenfest auf dem Platz sind. Das ist in anderen Städten nicht normal. Es gibt bestenfalls mal einen Gay-Abend in einem der Bierzelte.
Wie steht es insgesamt um die Toleranz und Akzeptanz der Gesellschaft?
Homosexuelle haben nicht die gleichen Rechte. Das sieht man beim Adoptionsrecht, was für gleichgeschlechtliche Paare immer noch nicht gleichgeschaltet ist. Und dann sind die Verhältnisse zu den Familien oft schlecht. Viele sind nach ihrem Outing daheim rausgeworfen worden, oder die Familie wollte keinen Kontakt mehr. Und wenn einer stirbt, kommt die Familie, die sich seit 20 Jahren nicht gemeldet hat, und darf über Beisetzung und Trauerfeier entscheiden – und nicht der Partner. Da sind noch dicke Bretter zu bohren.
Wollen Sie in Zukunft mit dem Gaypeople-Zelt auch auf Festen in anderen Städten dabei sein, beim Hamburger Dom zum Beispiel?
Das ist zurzeit nicht geplant. Die Größe des Zeltes ist gut so. Wir haben eine tolle Gemeinschaft hier, viele Stammgäste. Aus ganz Deutschland. Manche nehmen extra zehn Tage Urlaub und sind jeden Abend hier.
Wie hat sich das im Laufe der Jahre eigentlich entwickelt?
Der Standort ist besser geworden. Angefangen hat es in so einer Nische hinter einem großen Fahrgeschäft. Das Zelt war nur über einen schmalen Gang erreichbar. Aber es war ein echter Partytipp. Bei der Stadtverwaltung und den Organisatoren vom Schützenfest ist das angekommen. Das Gaypeople-Zelt wurde massiv aufgewertet. Es liegt seit einigen Jahren zentral, direkt am Weg. Es soll ja auch kein Separee sein hier.
War es schwer, die Bürokratie davon zu überzeugen?
Na ja, die Stadtverwaltung hat ja auch ein Interesse, dass das hier passiert. Es hat ja immer noch den Charme des Exotischen. Dass es so ein Zelt nirgendwo sonst auf der Welt gibt, zeigt ja, dass Hannover eine weltoffene Stadt ist. Es kommen viele VIPs aus Wirtschaft und Politik. Oberbürgermeister Stephan Weil zum Beispiel. Da gibt es keine Berührungsängste, man zeigt sich gerne hier.
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