Schwimm-Weltmeisterschaft: Kohle im Kesselwagen
Mit dem Championat in Schanghai beginnt die Vorbereitung auf Olympia 2012. Ein verlockendes Ziel - für das auch gerne mal geschummelt wird.
Den Juli 2013 hat Harm Beyer schon jetzt dick in seinem Kalender markiert. Im Vorfeld der Schwimm-WM in Barcelona stimmen die Herrschaften vom Weltverband Fina dann nämlich über die Neubesetzung ihrer Gremien ab - und das wird der Tag sein, an dem Beyer, von 1984 bis 1996 Mitglied im Fina-Präsidium, Tschüss sagen wird. Das wollte der frühere Strafrichter schon vor zwei Jahren machen, nachdem ihn die Kollegen vor den Titelkämpfen in Rom recht uncharmant aus ihrem Antidopingpanel komplimentiert hatten - ehe sie den kritischen Geist aus Hamburg-Eppendorf überredeten, doch noch ein wenig in der Legal Commission der Fina mitzumachen.
Beyer ließ sich breitschlagen - obwohl er "das Ganze", wie er sagt, inzwischen "mit gesteigertem Desinteresse" verfolgt. Bei den Titelkämpfen in Schanghai, wenn die Beckenschwimmer ab Sonntag in den Pool springen, ist der 75-Jährige deshalb auch nicht vor Ort. Den Fernseher zu Hause will er anschalten, wenn Olympiasiegerin Britta Steffen, Weltmeister Paul Biedermann und andere hoffnungsvolle DSV-Starter wie Marco di Carli auf den Startblock steigen. Seine Begeisterung über tolle Zeiten wird sich jedoch in Grenzen halten, weil auch in Schanghai der Dopingverdacht mitschwimmen wird.
Dass die Fina, bei der WM 2007 und 2009 in Sachen Bluttest komplett untätig, in China nun wieder die Nadel auspackt, hält Dopingexperte Werner Franke für "Mumpitz". Denn auf Trainingskontrollen des laut Franke bei Sportlern aktuell besonders beliebte Wachsturmshormons IGF-I wartet der Mann noch immer vergeblich. Und daher ahnt der desillusionierte Harm Beyer bereits jetzt: "Ich glaube nicht, dass es während der WM Dopingfälle geben wird. Aber das heißt nicht, dass nicht gedopt wird." Vielmehr sei es schlicht so: "Die Fina hat kein Interesse an negativen Schlagzeilen."
Sechs Medaillen angestrebt
Aus deutscher Sicht besonders positiv aufgefallen war bei der WM-Qualifikation vor sieben Wochen Freistilspezialist di Carli. Über die zwei Bahnen Kraul tritt der 26-Jährige als Weltjahresbester an - während Paul Biedermann, der gleich am Auftakttag seinen Titel über 400 Meter Freistil verteidigen will, und seine Freundin Britta Steffen, die in der 4x100-Meter-Freistilstaffel antritt, ihr WM-Ticket eher mühevoll lösten.
Insgesamt sechs Medaillen sollen Deutschlands Bahnenzieher aus China mitbringen. Dieses ambitionierte Ziel hat der DSV ausgegeben - in der Hoffnung, auf dem Weg zu Olympia 2012 nicht frühzeitig ins Hintertreffen zu geraten. "Für mich ist Schanghai der Start in die Olympiasaison", betont Bundestrainer Dirk Lange, verbal befeuert von Lutz Buschkow, der die deutschen Schwimmer recht schonungslos auf die Wettkämpfe im Shanghai Oriental Sports Center einstimmt.
Nicht nur eine Schippe Kohle
"Mit Blick auf London", ahnt der DSV-Chef jedenfalls, "werden die anderen Nationen nicht nur eine Schippe Kohle drauflegen, sondern mit einem ganzen Kesselwagen feuern." Der internationalen Konkurrenz stellt sich sein Verband dabei mit einer etwas eigentümlichen Nominierungspolitik: Die harten Normen aus der Qualifikation werden aufgeweicht, sodass manche, die vorgegebene Zeiten Anfang Juni nicht erreicht haben, nun trotzdem starten dürfen. Immerhin bekommt Bundestrainer Lange dadurch mehr Freiheiten in der Besetzung der sechs Staffeln. Und wann die Anwendung welcher Normen sinnvoll ist, ist schließlich Auslegungssache.
Ähnliches gilt für den Antidopingkampf im Weltschwimmsport. So darf der Brasilianer César Cielo Filho, Olympiasieger von 2008 über 50 Meter Freistil, bei der WM starten - obwohl er positiv auf das verbotene Diuretikum Furosemid getestet wurde. Die Fina erhob in seinem Fall sogar Einspruch gegen die bloße Verwarnung des mit einem Topanwalt versorgten Cielo durch den Internationalen Sportgerichtshof (CAS). Die Begründung will der CAS nachliefern - bis dahin allerdings ist das Wasser aus dem Pool in Schanghai längst wieder abgelassen.
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