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Schwerer Trugschluß

■ betr.: „Ohne Euro kein soziales Europa“, taz vom 2.8. 96

Bislang bin ich immer davon ausgegangen, daß ich mit meiner Stimme für grüne EuropaparlamentarierInnen auch gleichzeitig grüne (Europa-)Politik unterstütze. Das muß wirklich ein schwerer Trugschluß gewesen sein!

In dem Beitrag von Frau E. Müller kann ich auf jeden Fall keine einzige Position erkennen, die diesen Namen verdienen würde. Es ist eher genau das, was der Bevölkerung seit langem eingeimpft wird: Es ist alles nicht so schlimm, was euch die bösen Linken immer einreden wollen, „was bleibt, ist die alltägliche Politik der kleinen Schritte hin auf ein soziales Europa“. Das hätte nun wirklich eher von einem Sozialexperten- Fuzzi der CDU stammen können! Ist der Frau Müller eigentlich noch gar nicht aufgefallen, daß – bereits ohne EWU – gerade das „Sparpaket“ der Bundesregierung auch mit dem Argument „zu hoher“ sozialer Standards im Vergleich zum europäischen Ausland geschnürt wurde? Soziale Standards, und das muß sich doch eigentlich bis zu den Grünen herumgesprochen haben, werden – solange sich Markt und Währung unterordnen müssen (d. h. lediglich nachgeordnet behandelt werden) – immer nach unten hin „harmonisiert“. Die Änderung der Asylgesetzgebung ist da nur der zaghafte Anfang einer sich immer stärker breit machenden Gleichmacherei, „Anpassung“, „Harmonisierung“ und anderem mehr, deren einziges wirkliches Ziel die Vertuschung realer ökonomischer Interessen, sprich Gewinnanhäufung auf dem Rücken derer sind, die ohnehin keine größere Sorge kennen, als daß sie ihren Arbeitsplatz verlieren könnten und bald so weit sind, jeglichen „Lohnkompromiß“ einzugehen. Oder wie ist es anders zu verstehen, wenn eine FDP-Politikerin (zuständig für „Soziales“) es wagt, ohne mit der Wimper zu zucken, den Monatslohn eines Ingenieurs in Bayern mit dem seines unmittelbaren Nachbarn in Tschechien zu vergleichen. Wieso sie dasselbe Spiel nicht auf ihren eigenen Job überträgt, liegt auf der Hand: Erst ab dem Erreichen einer bestimmten „Klassenstufe“ hören alle Unterschiede auf! Daher kann man Frau E. Müller nur energisch widersprechen: Brüssel bewirkt nicht nur bereits jetzt schon Sozialabbau in Deutschland und anderen Ländern Europas, sondern wird ihn noch durch die Einführung des Euro fatal verstärken. Die wirkliche Einheit (und Freiheit) Europas ist doch nicht mit Neoliberalismus gleichzusetzen und schon gar nicht mit der Einführung einer einheitlichen Währung. [...] Wir brauchen kein „Elite-Europa“, das „fit“ für den Weltmarkt ist – sprich für die großen transnationalen Gewinnabzocker. Wir brauchen ein Europa, das „fit“ für seine Menschen ist und das die sogenannte 3. Welt nicht einzig als Absatzmarkt und Rohstofflieferanten wahrnimmt.

Vor allem aber bin ich darüber schockiert, daß es scheinbar keine wirkliche Opposition zu dem herrschenden, alles überlagernden Denken von „harter Währung“ und dem FDP-Modewort von (Eigen-)„Dynamik“ zu geben scheint. Die knallharten Ökonomen haben das Heft wieder fest in der Hand, alles muß sich ihrer scheinbar unumstößlichen (Markt-)Logik unterwerfen; die Grünen möchten das alles gern noch ein bißchen ökologisch anstreichen, aber an die Verlierer dieses großangelegten Coups auf die letzten natürlichen und menschlichen Ressourcen denkt man erst an dritter und vierter Stelle bzw. beruhigt sich mit dem Argument, am Wachstum profitieren doch „alle“. Die Politik ist verschwunden, es leben „die kleinen Schritte“, damit wir hinter den großen der Transnationalen auf jeden Fall hinterherdackeln. Joachim P. Kucza, Berlin

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