Schwere Kämpfe in Libyen: Regierung in Tripolis umzingelt
Haftar-Rebellen schlagen den Versuch eines Befreiungsschlages durch Regierungsmilizen zurück. Jetzt stehen sie an der Grenze zu Tunesien
Watiya ist einer von fünf strategisch wichtigen Militärstützpunkten Libyens seit Gaddafi-Zeiten. Von dort starten die Luftangriffe der Libyschen Nationalarmee (LNA) des rebellierenden Generals Chalifa Haftar auf die Hauptstadt. Von der Küste vor Watiya, zwischen Tripolis und der tunesischen Grenze gelegen, schicken die Menschenschmuggler Flüchtlinge nach Europa.
Dem regierungstreuen Kommandeur Osama Zuwail schien mit seiner „Operation Sturm des Friedens“ zunächst ein Überraschungscoup gelungen zu sein. In die Hände seiner Männer fielen 15 Haftar-treue Offiziere und mehrere Militärfahrzeuge, außerdem ein Mig-Kampflugzeug.
Als die LNA Verstärkung aus Nachbarorten herbeischaffte, zogen sich die regierungstreuen Milizen jedoch zurück. Die LNA verschleppte aus der Gegend stammende Offiziere. Daraufhin erklärten die politischen und militärischen Anführer einiger Orte nahe der Grenze zu Tunesien ihre Loyalität zu Haftars mehrheitlich ostlibyscher LNA. Mittwochabend besetzten LNA-Einheiten kampflos die Städte Regdalin, Al Azza und Dschmel. Sie schnitten damit die Küstenstraße zu Tunesien ab. Tripolis ist nun von seinem Nachbarland abgeschnitten.
Kommandeure aus dem von Berbern bewohnten Ort Zuwara berichten, dass nur noch eine kleine regierungstreue Einheit den Grenzübergang Ras al-Dschadir kontrolliert. Sollten Haftar-Truppen auch den Grenzposten einnehmen, verbliebe der Regierung nur noch Zuwara und ein kleiner Küstenstreifen westlich von Tripolis.
Coronavirus legt öffentliches Leben lahm
In Tripolis ruht wie im Rest Libyens das öffentliche Leben wegen der Coronakrise. Cafés, Läden und Büros sind geschlossen. Dafür gehen die Raketen der LNA nun auch in weit von der Front entfernten Wohngebieten nieder.
Am Montag hatte LNA-Sprecher Ahmed Mismari, der sich nach einem Ägyptenbesuch in Selbstisolation befindet, eigentlich einem Waffenstillstand aufgrund der Corona-Gefahr zugestimmt. In Bengasi und Tripolis versuchen zahlreiche private Initiativen von Studenten und Aktivisten, die Bürger dazu zu bewegen, zu Hause zu bleiben.
Bisher haben die Behörden der Haftar-treuen Parallelregierung in Bengasi und das Gesundheitsministerium der Regierung in Tripolis zwar nur einen Covid-19-Fall gemeldet. Wie der Infizierte waren viele Libyer in den letzten Wochen in Tunesien in Behandlung gewesen, wo es bereits 175 Corona-Infektionsfälle und über 8.000 Menschen in Selbstisolation gibt.
„Sollten wir in Libyen bald auch solche Infektionszahlen haben wie in Tunesien, droht der Kollaps des Gesundheitssystems, das nach einem Jahr Krieg kaum noch Kapazitäten hat“, sagt Mohamed al-Mahmoudi, ein Aktivist aus Tripolis, der taz am Telefon.
Mit der Corona-Angst scheint die Umsetzung der Beschlüsse der Berliner Libyen-Konferenz vom Januar komplett ausgesetzt zu sein. Internationale Diplomaten haben Libyen fast ausnahmslos verlassen und sind in Tunesien von der allgemeinen Ausgangssperre und Grenzschließungen betroffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen