Schweizer "Ausschaffungsinitiative": Bewegung kommt ins rechte Idyll
In vielen Städten kam es zu teils gewalttätigen Demos gegen die Befürworter der automatischen Abschiebung straffälliger Ausländer. Islamrat will neue Abstimmung über Minarett-Verbot.
BERN dpa | Nach dem Sieg der Befürworter einer Abschiebung krimineller Ausländer aus der Schweiz ist es in der Nacht zum Montag in mehreren Städten zu Ausschreitungen gekommen. Bei der Volksabstimmung am Sonntag hatten 52,9 Prozent für ein Gesetz gestimmt, wonach verurteilte Ausländer automatisch des Landes verwiesen werden sollen. Da das Parlament nun einen Katalog von Delikten ausarbeiten und verabschieden muss, bei denen das Gesetz greift, können bis zum Inkraftreten der Verfassungsänderung bis zu fünf Jahre vergehen.
Nach der Abstimmung gab es in zahlreichen Städten der Schweiz Kundgebungen gegen das neue Gesetz. In Bern und Zürich kam es am Abend zu Ausschreitungen. Die Polizei setzte Gummischrot und Tränengas ein. Es gab Sachschäden. Die Wut richtete sich auch gegen Parteibüros der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Die Rechtspopulisten hatten den Vorstoß für die Abschiebung auf den Weg gebracht und einen großen Sieg davongetragen, wie es am Montag in den Schweizer Medien hieß.
Die meisten Schweizer Tageszeitungen werten das Ja zur "Ausschaffungsinitiative" als Ausdruck der Verunsicherung der Bevölkerung angesichts eines rasanten gesellschaftlichen Wandels. Die SVP habe es ein weiteres Mal geschafft, die Ängste der Leute für ihre Sache einzuspannen. Das Volk habe einer "fatalen Sehnsucht nach Idylle" nachgegeben, schreibt der Tages-Anzeiger aus Zürich.
Die Zeitung Der Bund aus Bern meint, das Ja zur SVP-Initiative zeige: "Fragen zur schweizerischen Identität und Kultur, ausgelöst durch den rasanten Wandel und die Migration, beschäftigen die Schweizerinnen und Schweizer wie kaum ein anderes Thema". Die Neue Zürcher Zeitung warnt, die Umsetzung des Gesetzes sei "voller sachlichem wie politischem Konfliktpotenzial".
Andreas Auer, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Zürich, macht eine fremdenfeindliche Stimmung in seinem Land für das Ergebnis der Volksabstimmung verantwortlich. Es sei eine allgemeine Stimmung, die eigentlich schon sehr lange andauere, sagte Auer am Montag im Deutschlandradio Kultur. "Es gibt seit mehr als 30 Jahren fremdenfeindliche Initiativen, die bisher alle abgelehnt wurden, und jetzt ist eine mal durchgekommen."
Unterdessen hat der Islamische Zentralrat der Schweiz laut einer Meldung der Neuen Zürcher Zeitung verkündet, eine Volksinitiative mit dem Ziel, das Minarett-Verbot wieder abzuschaffen, starten zu wollen. Das Verbot verstoße nicht nur gegen die Schweizerische Bundesverfassung, sondern auch gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention, so der Zentralrat. Das Verbot müsse so wieder aufgehoben werden, wie es auch eingesetzt worden sei - durch eine Befragung der Stimmbürger, sagte Abdel Azziz Qaasim Illi vom Vorstand des Zentralrats.
Das Minarettverbot ziele eindeutig auf eine Herabsetzung der Muslime in der Schweiz ab, kritisierte der Zentralrat. Es gebe keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass ausschliesslich der Bau von muslimischen Sakraltürmen verboten sein soll. In ästhetischer und baurechtlicher Hinsicht gebe es keinen Unterschied zu anderen religiösen Bauten – etwa buddhistischen oder hinduistischen Tempeln oder christlichen Kirchtürmen.
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