Schweinegrippe: Zwischen Panik und Lethargie

Während die Impfungen in Norddeutschland unterschiedlich gut angenommen werden, breitet sich das Virus immer schneller aus. Erste Schulschließungen und mangelnde Transparenz in Niedersachsen.

Impfen lassen oder nicht? Schweinegrippe-Infektionsstation. Bild: dpa

Das Virus grassiert, die Impfbereitschaft stagniert - zumindest in Niedersachsen. Während die Schweinegrippe vor allem im Norden - rechtzeitig zur nasskalten Jahreszeit - im Schweinsgalopp voranschreitet, ist die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. "Der große Ansturm in den Arztpraxen blieb bislang aus", bekennt etwa ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) in Hannover. In Hamburg hingegen nutzten allein am vergangenen Montag mehr als 1.000 Bürger das Impfangebot.

Dass die KVN aber davon ausgeht, dass die Impfbereitschaft der Niedersachsen in den kommenden Tagen sprunghaft ansteigen wird, liegt daran, dass sich der H1N1-Virus zurzeit in ganz Norddeutschland epidemisch ausbreitet. Allein in der vergangenen Woche gab es laut Landesgesundheitsamt 335 neue Schweinegrippefälle in Niedersachsen. Damit stieg die Zahl in dem Bundesland auf insgesamt über 3.200 Fälle. In Hamburg gab es bis zum 29. Oktober 621 registrierte Infektionen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts waren zum gleichen Zeitpunkt aus Schleswig-Holstein 774 und aus Mecklenburg-Vorpommern 352 Schweinegrippefälle gemeldet - davon allein 168 Neuerkrankungen aus der vergangenen Woche. Damit hat das Nordost-Bundesland, gemessen an der Einwohnerzahl, nach Bayern die aktuell zweithöchste Ansteckungsrate.

In Niedersachsen wurde wegen der Schweinegrippe der Unterricht an mehreren Schulen bereits abgesagt. Der Leiter des Landesgesundheitsamtes, Matthias Pulz, hält vorsorgliche Schulschließungen allerdings in der Regel für unangemessen - es reiche, wenn erkrankte Kinder zu Hause blieben, sagt er. Nach Angaben des Amts wurden die Haupt- und Realschule im ostfriesischen Hinte (Kreis Aurich) und die Lindenschule in Rothenburg / Wümme, eine Einrichtung für behinderte Kinder und Jugendliche, geschlossen. Hier sind nach Angaben des diakonischen Trägers 30 der 190 Schüler an dem Virus erkrankt. Zudem wurden Klassen in Peine, Braunschweig und Hannover vorläufig vom Unterricht befreit.

Gewarnt: "Die Welle, die wir für Herbst erwartet haben, hat begonnen", kommentiert Jörg Hacker vom Robert-Koch-Institut die bundesweit 3.000 Neuerkrankungen der vorigen Woche.

Geschockt: In Düsseldorf erlitt ein 30-jähriger Mann nach der Impfung einen lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock. Nur weil sich der Mann noch in der Praxis befand, wurde er gerettet.

Geschützt: Bis Montag ließen sich 1.518 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern impfen. Nicht eingerechnet sind Behandlungen bei niedergelassenen Ärzten.

Gefunden: Die Adressen der Hamburger Impfstellen gibt es unter http://www.hamburg.de/neue-grippe oder 040 / 42 83 73 77 95.

Dass es in Niedersachsen trotzdem bislang nur zu einem Stotterstart bei den Impfungen reicht, liegt aber nicht nur am Unwillen vieler Menschen, sich die Nadel geben zu lassen. Zuständige Stellen sind schlecht vorbereitet und die Ärzte noch nicht vorbereitet. So geriet taz-Reporter Fritz Tietz, wohnhaft im Landkreis Harburg, auf der Suche nach einer wohnortnahen Impfstelle in ein Tal der Ahnungslosen. Die kontaktierte Gemeindeverwaltung in Hittfeld forderte ihn auf, sich an seinen Hausarzt zu wenden, der ihn wiederum an das Gesundheitsamt Winsen verwies. Auch hier konnte man ihm keine Auskunft geben und verwies ihn an die zuständige Kassenärztliche Vereinigung. Erkenntnisgewinn der zeitaufwändigen Impfrecherche: exakt Null.

Besser sieht es offenbar in Hamburg aus, wo am vergangenen Montag bereits die zweite Impfphase begann: In 15 ausgewählten Hamburger Arztpraxen und den Gesundheitsämtern aller sieben Bezirke steht der Impfstoff für die Schweinegrippe bereit - hier kam es nach Berichten der Kassenärztlichen Vereinigung Anfang der Woche teilweise bereits zu langen Schlangen. Obwohl zunächst vor allem so genannte Risikogruppen, wie Menschen, die unter chronischen Atemwegs- oder Herzkreislauf-Erkrankungen leiden oder Diabetes haben, sich impfen lassen sollen, werden auch Personen, die kein erhöhtes Risiko haben, nicht abgewiesen. Die Gesundheitsbehörde appelliert aber ausdrücklich an diesen Personenkreis, mit dem Grippeschutz zu warten. Hamburg hat zwar eine Million Impf-Dosen bestellt, das Serum wird aber erst nach und nach ausgeliefert.

In Schleswig-Holstein wird die Impfung gegen die Schweinegrippe unterschiedlich angenommen. Die Einzelmeldungen reichen von "großem Andrang" bis zu "verhaltener Nachfrage", betont der Sprecher des Kieler Gesundheitsministeriums, Oliver Breuer. Einen vollständigen Überblick über die Beteiligung an der Schutzimpfung habe das Ministerium aber nicht.

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