Schwein als Wappentier des Abendlandes: Die arme Sau
Schweineköpfe vor Moscheen, Schnitzelzwang in Kantinen – das Schwein wird missbraucht. Elf Gründe zur Ehrenrettung.
1. Schweine sind subversiv. Im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 annektierte Preußen das Herzogtum Schleswig und unterdrückte die dort lebenden Dänen. Sie durften nicht einmal ihre eigene Landesflagge hissen. Der Legende nach hielten sich die dänischen Bäuern Rotbunte Husumer Schweine. Die Tiere erinnern mit ihrer rötlichen Farbe und dem markanten weißen Querstreifen an die dänische Nationalflagge. Die Protestschweine wurden zum Symbol des Widerstand gegen preußische Autoritäten.
2. Schweine machen melancholisch. „Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich“, klagt Max Raabe. Man bekommt Mitleid.
3. Schweine verzagen nicht. In ihren Stroh-, Holz- und Ziegelhäusern lebten drei kleine Schweinchen. Die ersten beiden Häuschen in Joseph Jacobs Märchen strampelte und trampelte, hustete und prustete und pustete der Wolf zusammen. Das Ziegelhaus aber konnte er nicht zusammenpusten, also stieg er durch den Kamin ein. Aber die Schweinchen, die sich im Ziegelhaus versammelt hatten, machten ein Feuer im Kamin und hängten einen großen Topf mit Wasser auf. Der Wolf plumpste mitten in das heiße Wasser. Die Schweinchen setzten einen Deckel auf den Topf, tanzten und waren saufroh.
4. Schweine machen Präsidenten. Der frühere US-Präsident Harry S. Truman wusste schon 1948: „Niemandem sollte erlaubt sein, Präsident zu werden, der Schweine nicht versteht.“
5. Schweine retten Leben. Herzklappen des Schweins werden Menschen implantiert, Heparin aus dem Schweinedarm als Blutverdünner verwendet.
Harry Truman, ehem. US-Präsident
6. Schweine sind Kunst. Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe konnte man bis September das ausgestopfte Schwein Donata bestaunen. Auf dem Rücken sieht man ein riesiges Tattoo, das der belgische Konzeptkünstler Wim Delvoye von mehreren Profi-Tätowierern entwerfen ließ.
7. Schweine sind schlau. Schweine hören auf ihren Namen, können mit dem Joystick einfache Computerspiele spielen und erkennen sich selbst. Britische Forscher versteckten eine Futterschale, die die Schweine nur durch einen Spiegel sehen konnten. Für die Tiere kein Problem, sie steuerten zielstrebig auf die Schale zu.
8. Schweine schwimmen. Die Bahamas-Insel Big Major Cay ist von Menschen unbewohnt. Bekannt ist die Insel für ihre vielen schwimmenden Schweine. Wenn ein Boot vorbeikommt, kommen sie und lassen sich füttern.
9. Schweine stellen bipolares Geschlechterdenken in Frage. Oder wie kann man die Liedzeile “Männer sind Säue“ sonst interpretieren?
Politiker fordern Schweinefleischpflicht in Kantinen, anderswo werden Schweineköpfe abgelegt – als Drohung gegen Muslime. Wie die Sau zum Wappentier des Abendlandes wurde, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. März. Außerdem: Will man als Grüner von einem Porsche-Cayenne-Fahrer gewählt werden? Winfried Kretschmann sagt ja. Eine Analyse seines Erfolgs eine Woche nach der Wahl. Und: Sie gab Pippi Langstrumpf ihren Namen – ein Gespräch mit Karin Nyman, der Tochter Astrid Lindgrens. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
10. Schweine haben ein Herz für Loser. Die Redewendung „Schwein haben“ geht vermutlich auf Schützenfeste im Mittelalter zurück. Bei manchen Wettkämpfen, z.B. Schützenfesten, bekam der Verlierer ein Schwein als eine Art Trostpreis geschenkt. Glück gehabt! Also Schwein.
11. Schweine schmecken. Viele Köche entdecken gerade alte Schweinerassen wieder – wie das Bunte Bentheimer Schwein. Es lebt im Freien auf einigen Bauernhöfen vor allem in Niedersachsen und schmeckt ganz anders als das wässrig-fade Fleisch aus den Tierfabriken. Der Genuss hat Steffen Barth zu seinem Buch “Schweinereien für Fortgeschrittene“ angeregt. Schon Obelix wusste: Je wilder das Schwein, desto besser der Braten.
Sie vertrauen dem Schwein immer noch nicht? Brauchen noch mehr Gründe? Für die taz.am wochenende vom 19./20. März 2016 geht unser Autor Jörn Kabisch der Frage nach, was das Schwein zum Wappentier des Abendlandes macht. Auf seiner Suche reist er unter anderem in die Schweinehauptstadt Deutschlands, nach Versmold, und spricht mit einem Kulturwissenschaftler darüber, wie wir uns im Schwein selbst erkennen. „Warum verwandelt sich ausgerechnet die Drecksau von früher zum Frontschwein eines von Rechtspopulisten und Konservativen geführten Kulturkampfes zwischen Westeuropäern und neu ankommenden Muslimen?“, fragt Jörn Kabisch.
Die Titelgeschichte „Die arme Sau“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. März 2016.
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