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Schweigen für die Demokratie

Protestaktionen in Katalonien richten sich gegen die Inhaftierung von zwei Aktivisten

Aus Madrid Reiner Wandler

Die Proteste in Katalonien nehmen an Intensität zu. Am Dienstag um 12 Uhr versammelten sich überall in der nordostspanischen Region Menschen vor den Rathäusern oder an ihrem Arbeitsplatz zu fünf Schweigeminuten für „Freiheit und Demokratie“. Sie protestierten gegen den Beschluss des spanischen Sondergerichtshofs für Bandenkriminalität, Terror und Finanzdelikte, Audiencia Nacional, auf Antrag der Staatsanwaltschaft zwei Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu inhaftieren. Die Möglichkeit, gegen Kaution auf freiem Fuß zu bleiben, besteht nicht.

Es handelt sich um Jordi Sànchez von der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) und Jordi Cuixart von der Kulturorganisation Òmnium. Die beiden sollen sich eines „Aufstands“ schuldig gemacht haben. Mit der U-Haft soll verhindert werden, dass sie „Beweise vernichten“ und ihr „Vergehen wiederholen“, so die Begründung der Ermittlungsrichterin Carmen Lamela vom Montagabend.

Der Grund für die Ermittlungen gegen die beiden Chefs der Organisationen sind Proteste am 20. September. Damals durchsuchte die paramilitärische Guardia Civil mehrere Büros der Autonomieregierung Generalitat und nahm 12 hohe Regierungsvertreter wegen der Vorbereitung der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit am 1. Oktober fest.

Sànchez und Cuixart seien „die prinzipiellen Anstifter und Führer“ der Protestkundgebungen gegen diese Polizeiaktion gewesen. Die Beamten der Guar­dia Civil konnten das Gebäude des katalanischen Finanzministeriums im Zentrum von Barcelona die ganze Nacht über nicht verlassen.

„Sie wollen Ideen einsperren, aber sie stärken damit die Notwendigkeit der Freiheit“, twitterte der Chef der katalanischen Autonomieregierung Generalitat, Carles Puigdemont. „Wir wollen reden und die PP antwortet mittels Staatsanwaltschaft mit Haft“, beschuldigte Vizepräsident Oriol Junqueras die konservative Regierung der Partido Popular (PP). In Spanien untersteht die Staatsanwaltschaft direkt dem Justizministerium.

In mehreren Städten kam es noch am Montagabend zu spontanen Protestkundgebungen. Für Dienstagabend riefen ANC und Òmnium zu einer Großkundgebung in Barcelona auf. Für die Protestierenden sind Sànchez und Cuixart „politische Gefangene“.

Während die Regierung in Madrid mit der sozialistischen Opposition die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung vorbereitet, mit dem die Autonomiebefugnisse außer Kraft gesetzt werden können, besuchte Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal die in Katalonien stationierten Truppen. Wahrscheinlich sei es nicht notwendig, die Armee einzusetzen, erklärte sie, verwies aber auch auf den Artikel 8 der Verfassung, der den Streitkräften die Rolle des Garanten der spanischen Einheit zuschreibt.

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