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Schwedischer Reporter in türkischer HaftJoakim Medin ist wieder frei

Ministerpräsident Kristersson bezeichnet die Rückkehr des Journalisten nach Schweden als Erfolg diskreter Verhandlungen. Der Journalist äußerte sich am Samstag öffentlich zu seiner Zeit im Gefängnis.

Joakim Medin und seine Frau, die Journalistin Sofie Axelsson, bei einer Pressekonferenz am Samstag nach Medins Freilassung

stockholm/Ankara/straßburg taz/afp/dpa | Joakim Medin, ein wegen des Vorwurfs der Präsidentenbeleidigung in der Türkei inhaftierter schwedischer Journalist, ist wieder auf freiem Fuß.

Vom ersten Tag an habe er darüber nachgedacht, was er in diesem Momentäußern würde, erklärte Medin am Samstagvormittag in seiner Heimatstadt Stockholm vor schwedischen Medien. Dann sagte er es: „Lang lebe die Freiheit, dieMeinungsfreiheit, die Bewegungsfreheit.“

Medin und seine hochschwangere Frau Sofie Axelsson standen zusammen in der Redaktion seines Arbeitgebers, der Zeitung Dagens ETC, underzählten von einem „unbeschreiblichen Gefühl von Erleichterung undFreud“. Axelsson sagte laut Dagens Nyheter, „der Albtraum ist vorbei“. Kurz nach Mitternacht war Medin in Stockholm gelandet, nach 51 Tagen in türkischer Haft.

Die ersten 24 Stunden nach der Festnahme seien die schlimmsten gewesen, berichtete der Journalist nun. „Eine totale Ungewissheit. Bin ich in einem schwarzen Loch verschwunden?“, habe er sich gefragt. Nach einigen Tagen habe er durch einen Brief vom schwedischen Konsulat in Istanbul erfahren, dass seine Situation bekannt sei.

Im Gefängnis habe er sich darauf konzentriert, sich gut um sich kümmern,auf die grundlegenden Dinge zu achten: essen, schlafen, Krafttraining –letzteres mithilfe von Wasserkanistern. Durch den Spalt unter der Tür habe er mit anderen Gefangenen kommuniziert.

„Aber alles fließt zusammen, es ist wie ein Nebel“, sagte der äußerlichunversehrte Medin. „Es dauerte auch eine Weile, bis mir klar wurde, dass es das Risiko von zwölf Jahren Haft gab. Als ich es dann begriff, war das unglaublich belastend.“

Umso deutlicher wurde ihm nun die Bedeutung dessen klar, was eigentlichseine Normalität ist: „Allein mehrere Meter gehen zu können, reden zukönnen, schreiben zu können, das ist eine enorme Erleichterung.“

Den Angaben zufolge laufen Gerichtsverfahren gegen ihn, die voraussichtlich auch weiter fortgesetzt würden. Die erste Anhörung im Prozess zu den Terrorismusvorwürfen sei für den 25. September angesetzt worden. Der Ausgang dieses Verfahrens könnte der Anwaltsvereinigung MLSA zufolge weitere Auswirkungen auf Medin haben, der über kurdische Fragen und Menschenrechte in der Türkei berichtete.

Schwedens Ministerpräsident Kristersson bezeichnete die Freilassung des vor rund anderthalb Monaten in der Türkei inhaftierten Reporters als Erfolg von Verhandlungen, die „in relativer Stille“ geführt worden seien. Er dankte europäischen Amtskollegen für ihre dabei geleistete „große Hilfe“.

Europaparlament verlangte Freilassung

Erst am Mittwoch hatte das Europaparlament die „unverzügliche und bedingungslose Freilassung“ des schwedischen Journalisten verlangt. Das Parlament „verurteilt die Vorwürfe gegen Joakim Medin scharf, die allein auf seiner journalistischen Arbeit fußen“, heißt es in dem Beschluss weiter. Die Abgeordneten forderten zudem die Freilassung „anderer Journalisten, die für die Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert wurden“.

Medin war Ende März bei seiner Ankunft am Istanbuler Flughafen festgenommen worden, nachdem er zur Berichterstattung für die Tagezeitung Dagens ETC über regierungskritische Massenproteste angereist war. Wegen des Vorwurfs der Beleidigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde er Ende April zu elf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Zudem wurde Medin der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation beschuldigt, weshalb er in Untersuchungshaft bleiben musste.

Die türkischen Behörden warfen Medin unter anderem vor, im Januar 2023 an einer Demonstration der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Stockholm teilgenommen zu haben, bei der Demonstranten eine Erdogan-Puppe aufgehängt hatten.

Die Inhaftierung des schwedischen Journalisten weckte Erinnerungen an den Fall des deutschen Journalisten Deniz Yücel, der 2017 während seiner Tätigkeit als Auslandskorrespondent der Tageszeitung Welt festgenommen worden war und monatelang im Gefängnis saß.

Die Beziehungen zwischen Stockholm und Ankara waren zuletzt wegen der langen türkischen Blockade von Schwedens Nato-Beitritt stark belastet.

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