piwik no script img

Schwedens Clan der Waffenschieber

■ Längst ist der Rüstungskonzern Bofors zur nationalen Skandalnudel Nummer Eins geworden / Die Geständnisse aus den Chefetagen häufen sich / Doch von der illegalen Waffenausfuhr in Krisengebiete und von den dubiosen Geschäften über Drittstaaten wußten auch staatliche Stellen / Einblick der Gewerkschaft gering

Aus Karlskooga Reinhard Wolff

„Tägliche Direktorenbeichte“ hat ein Kollege treffend das genannt, was sich seit zwei Wochen in Schweden abspielt. Kaum ein Tag vergeht, ohne daß nicht aus dem jetzigen oder ehemaligen Management von Bofors, dem schwedischen Rüstungskonzern, ein neues Geständnis kommt: auch ich habe geschmuggelt. Konnte der erste in dieser Reihe, Anders Carlberg, Chef der Bofors–Muttergesellschaft Nobel, sich noch der Schlagzeilen sicher sein, müssen sich seine geständigen Nachahmer meist schon mit zweitklassigen Plätzen auf den Innenseiten der Zeitungen zufriedengeben. Man gewöhnt sich langsam an die Eingeständnisse illegaler Waffengeschäfte - und dieser Gewöhnungseffekt scheint auch beabsichtigt zu sein. Die Geständnisse betreffen zumeist Einzelgeschäfte kleineren Umfangs. Dem Ergebnis der staatsanwaltlichen Ermittlungen - nach mehrmaligen Verschiebungen soll nun im Sommer die Anklage erhoben werden - wird damit der Wind aus den Segeln genommen. Schadensbegrenzung scheint die Parole zu sein, die in Karlskooga, der Bofors–Stadt, ausgegeben worden ist. Eine Frage, die eigentlich viel interessanter ist als die Geständnisse der Führungsspitze, wird seltsamerweise in Schwedens veröffentlichter Meinung bislang kaum gestellt: Wer außer den Direktoren wußte noch Bescheid? Schwedens Waffenindustrie besteht ja nicht nur aus Direktoren. Da wären beispielsweise die Gewerkschaften, deren Mitbestimmungsrechte ihnen Einblick in alle Geschäfte verschaffen. In alle Geschäfte, auch die ille galen? Arne Angelöf von der Metallarbeitergewerkschaft reagiert sehr einsilbig auf diese Frage. „Wir wußten nicht, daß Bofors sich so weit jenseits der zulässigen Grenzen bewegte.“ Es sei nicht alles so einfach, wie sich das die „Friedenskerle“ der schwedischen Friedensgesellschaft vorstellten. Schließlich sei seine Gewerkschaft schon in den siebziger Jahren für eine Umstellung auf zivile Produktion eingetreten. Jetzt aber komme alles auf einmal: der Ausstieg aus der Atomenergie, der Südafrikaboykott, Bofors, wo solle man denn die ganzen arbeitslosen Metaller unterbringen? 24.000 arbeiten in der Waffenindustrie. In der Bofors–Stadt Karlskooga kann sich kaum jemand eine Zukunft ohne die Waffenherstellung vorstellen. Dabei konzentriert sich Bofors gerade erst zehn Jahre auf die Produktion von Waffen. Von etwas über 20 Prozent Umsatz stieg der Anteil binnen fünf Jahren auf über 50 Prozent. Mangels eines einheimischen Marktes muß jedoch ein Großteil der Produkte in den Export gehen. Allerdings hat es den Anschein, daß man sich bei Bofors auch jetzt noch nicht allzugroße Sorgen macht. Die von der Regierung angekündigte Verschärfung des Waffenexportgesetzes wird nur einen geringen Teil der Waffengeschäfte treffen. Nach Meinung der „Friedens– und Schlichtungsgesellschaft“ werden sogar die Möglichkeiten von Geschäften über Drittländer verbessert. Schwedens moralische Weste soll wieder weiß werden, ohne ökonomisch allzuviel einzubüßen. Womit wir bei der Rolle der Regierung wären, oder besser der verschiedenen bürgerlichen und sozialdemokratischen Regierungen in den vergangenen 15 Jahren. Eigentlich ist das größte Problem der Waffenexporte seit 1971 gelöst - auf dem Papier. Damals wurden neue Richtlinien beschlossen: Grundsätzliches Verbot jeder Waffenausfuhr, es sei denn, sie werde von der Regierung genehmigt; keine Genehmigung für eine Ausfuhr in Krisengebiete. Papier ist geduldig, die Rüstungsindustrie bekanntlich erfinderisch, und die Regierung muß schließlich auch an die Arbeitsplätze denken. Der schwedische Waffenexport konnte jedenfalls stolze Zuwachsraten vermelden, allein im vergangenen Jahr wieder satte 43 Prozent. Die Komplizenschaft der Regierung mit der Rüstungsindustrie zeigte sich dann ganz offenkundig, wenn es um die Definition von „Krisengebieten“ ging, für die ein absolutes Ausfuhrverbot besteht. Indonesien ist trotz des Bürgerkriegs in Ost–Timor ebensowenig ein Krisengebiet wie etwa Indien, trotz der Krisensituation mit Pakistan. Mit Indien wurde im vergangenen Jahr ein Geschäft über drei Millionen Mark gegen scharfe internationale Konkurrenz abgeschlossen, das die Abrüstungsexpertin der Regierung, Inga Thorsson, nur noch resigniert kommentierte: „Ich kann meine Kabinettskollegen nicht verstehen.“ Bei anderen Geschäften muß man in Stockholm nicht nur beide Augen zugedrückt, sondern auch das Denken abgestellt haben. Singapur wurde zu einem der größten Abnehmerländer schwedischer Waffen. Niemand scheint sich die Mühe gemacht zu haben, sich zu fragen, was die relativ kleine Truppe des Stadtstaats denn wohl mit dieser Unmenge von Waffen solle. So lief über Singapur ein Großteil der illegalen Weiterverkäufe in den Mittleren Osten. Praktischerweise richtete sich Bo fors in Singapur gleich eine Tochtergesellschaft ein, und niemand stellte Fragen, als schwedische Waffen bei einer Rüstungsmesse in Bangkok von einer Singapurer Gesellschaft offen zum Kauf angeboten wurden. Die Singapur– Geschäfte sind seit über einem Jahr im Gerede, was kein Hindernis dafür war, daß im Januar 1987 die Ausfuhren nach Singapur so groß waren wie in keinem Monat zuvor. Alles mit Genehmigung der Regierung versteht sich. Ebenso „naiv“ akzeptierte die Kriegsmaterialinspektion „Endverbraucherzertifikate“ aus Kenia. Diese Dokumente müssen die Rüstungshändler der Regierung vorlegen als Beweis dafür, daß die Waffen tatsächlich in dem Lieferland bleiben. Die Zollverwaltung soll der Regierung schon vor einiger Zeit mitgeteilt haben, was von diesen Dokumenten zu halten ist: Es sind so viele Zertifikate davon ausgestellt worden, daß Kenia vom Munitionsbedarf her gleich hinter den USA und der UdSSR rangieren würde. Trotzdem wurden diese „Dokumente“ bis zum vergangenen Jahr akzeptiert, der größte Teil der nach Kenia exportierten Waffen landete im Iran. So naiv und unwissend kann eine Admini stration nicht sein. Es stellt sich allein die Frage, wie weit über die Kriegsmaterialinspektion hinaus das Wissen um den Waffenschmuggel nach „oben“ hin bekannt war. Das soll gerade ein Untersuchungsausschuß klären, von dem man besser aber nicht zuviel erwartet. Auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kommen nur langsam voran. Ein einziger 67jähriger Staatsanwalt ermittelt seit zwei Jahren ohne greifbares Resultat. „Alle müssen viel Geduld haben“, zitiert ihn eine Boulevardzeitung und setzt diese denkwürdige Äußerung neben ein Photo, das den älteren Herrn beim Kricketspielen zeigt. Solch leise Spitzen sind dann aber auch das Äußerste, was sich die Presse leistet. Ob es je zu einem Gerichtsverfahren kommen wird, erscheint immer fragwürdiger. Mit Kenntnis der Regierung ist kein Waffenschmuggel strafbar und die Mitwisserschaft der Kriegsmaterialinspektion bei einem Teil der Geschäfte erscheint mittlerweile sicher. Der ungeklärte Tod des Kriegsmaterialinspektors Algernon vor einem Stockholmer U–Bahn–Zug wird diesem möglicherweise noch eine posthume Karriere als regierungsamtlicher Mitwisser verschaffen. Er kann sich jedenfalls hiergegen nicht mehr wehren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen