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„Schwarzer Sheriff“ - nicht zu fassen

■ Angeklagt wegen Körperverletzung, doch Belastungszeugen erschienen nicht Von Fritz Gleiß

Vorbestraft wegen Körperverletzung ist der stämmige Mann seit einem Jahr: Thomas K., 26 Jahre, blonder Bürstenhaarschnitt. Warum er 1994 zu 40 Tagessätzen a 40 Mark verurteilt worden ist, weiß er nicht mehr so genau. Gestern ging es vor dem Amtsgericht um einen Vorfall, der noch länger zurückliegt. Im März 1993 soll Thomas K., damals im Sold eines im Hauptbahnhof tätigen „Sicherheitsdienstes“, dem Zeugen O. „grundlos das Knie in die Geschlechtsteile gestoßen“ und ihm eine Platzwunde am Kopf zugefügt haben, so die Anklage. Das ist bereits der zehnte aktenkundige Vorfall im Leben des Thomas K., drei Jahre Haft sind möglich.

Kerzengerade sitzt der Angeklagte die zweistündige Verhandlung ab, unschuldig, korrekt, nicht selten heftig grinsend. Ab und zu preßt er die Muskeln in den Wangen. Sprachlich flüchtet sich K. ins unterste Beamtendeutsch: Kompetenz heischend, erinnerungsarm, unkonkret und floskelhaft beantwortet er die Fragen von Richter Krispien. Auch das Verhör des Oberstaatsanwalts übersteht er so fast unbeschadet.

Zusammen mit einem Kollegen hat Thomas K. O. im einem Bahnhofs-Fahrstuhl beim Rauchen einer „Blechrolle“ aufgegriffen. „Kennen Sie sich mit BTM aus?“, fragt er den Richter. Die „Blechrolle“ - K.s Szenekenntnis schimmert durch - habe er sichergestellt und später der Polizei übergeben wollen (was nie geschah). Dann habe er O. festgenommen und ihm aufgrund „energischer körperlicher Gegenwehr“ - O. erhob die Hand - Handschellen angelegt. Trotzdem habe O. noch „rumgerangelt“, wie die diensthabende Zugabfertigerin bestätigt.

Sie war im gleichen Raum, in dem es kurz darauf zu den Verletzungen von O. kam, will aber nichts gesehen haben. „Der Verletzte schrie und beschimpfte die Wachleute“, sagt sie. „Wen?“ fragt der Richter. Ein Seitenblick der Zeugin auf den Angeklagten, dann sagt sie: „Das weiß ich nicht mehr.“

Weitere Zeugenaussagen belegen, daß es über Thomas K. bereits einige Beschwerden gab. Widersprüche aber bleiben, auch, weil die Hauptzeugen der Anklage, der verletzte O. sowie einer seiner Kumpel, fehlen. So fragt der Richter die restlichen Zeugen lieber ausführlich über die Zugehörigkeit von O. zum Milieu vom Bahnhofsvorplatz aus. Und zeigt sich über das „umfangreiche BTM-Register“ von O.s Kumpel ausgezeichnet informiert. Über das seines Angeklagten muß ihn erst der Staatsanwalt informieren.

Daß der Richter den Zeugen O. einmal aus Versehen als „Angeklagten“ tituliert, weist ebenfalls nicht auf Verurteilung. Die nicht erschienenen Hauptzeugen werden neu geladen. Weil niemand mit deren Erscheinen rechnet, wird das Verfahren nächste Woche Montag zwar nochmal aufgenommen, dann aber voraussichtlich eingestellt.

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