Schwarz-gelbes Haushaltsloch: Gefledderte Wahlversprechen
Bislang verteilte die schwarz-gelbe Regierung bloß Wahlgeschenke wie Rot-Grün nach dem Wahlsieg im Jahr 1998. Das wird sich nun vermutlich ändern.
BERLIN taz | Gerhard Schröder amüsierte sich prächtig. Die Opposition hatte eigens einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, um den Kanzler der Lüge zu überführen. Vor der Bundestagswahl habe er die Haushaltslage geschönt dargestellt, erst hinterher über Zumutungen gesprochen. Doch für Schröder wurde der Auftritt vor dem Ausschuss, es war im Juli 2003, zum Triumph. Seit seiner Agendarede galt er als heroischer Reformer, die Kritik von Union und FDP erschien als kleinkariert und naiv.
Haben auch die beiden CDU-Politiker Angela Merkel und Wolfgang Schäuble einen solchen Plan? Wissen davon schon die Bündnispartner FDP und CSU, die von nachhaltiger Haushaltspolitik anders als seinerzeit die Grünen nicht ohne weiteres zu begeistern sind? Wird die schwarz-gelbe Regierung im Sommer 2010 gefeiert werden für die Konsequenz, mit der sie den Haushalt saniert und dabei sogar den staunenswerten Mut aufbringt, die eigenen Wahlversprechen hinter sich zu lassen?
Für diese These spricht bislang nur ein einziger Umstand: Das Erscheinungsbild von Schwarz-Gelb ist acht Wochen nach der Regierungsbildung so schlecht wie seinerzeit die Performance von Rot-Grün. "Jeder macht, was er will, und sagt, was ihm gefällt", schrieb seinerzeit der Spiegel. "Der schlechte Start der Regierung hat Schröders Autorität geschwächt." Unklugerweise sprach der Kanzler damals ständig Machtworte, die ungehört verhallten. Diesen Fehler immerhin hat seine Nachfolgerin bislang nicht begangen, obwohl die Publizistik ständig dazu drängt.
Bislang verteilte die Regierung bloß nachträgliche Wahlgeschenke wie einst Rot-Grün nach dem ersten Wahlsieg 1998. Die Steuervergünstigung für Hotelbetten ist zwar eines der billigsten davon, mit knapp 1 Milliarde Euro jährlich. Sie hat aber das Potenzial, zum Eurofighter des neuen Jahrzehnts zu werden, zu dem Argument, mit dem jede Interessengruppe Zumutungen für die eigene Klientel abwehren kann. Für die Lohnrunde im öffentlichen Dienst hat sie den Gewerkschaften jedenfalls schon Rückenwind verschafft: Wer wollte den Müllmännern vorenthalten, was Bayerns Gastwirten schon zugestanden ist?
Schon ohne die versprochenen Steuersenkungen ist die Sanierung des Haushalts schwierig genug. Die Ironie daran: Vieles, was die Union an wirtschaftsliberalen Wünschen mit der SPD durchsetzen konnte, müsste sie dafür gemeinsam mit der FDP zurücknehmen.
So setzte die CDU/CSU noch Anfang Oktober 2008 gegen den Widerstand der SPD durch, den Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung auf das historische Tief von 2,8 Prozent zu senken. Schon damals war absehbar, dass die Pleite der amerikanischen Lehman-Bank wirtschaftliche Verwerfungen nach sich ziehen würde. Jetzt stellen Unionspolitiker überrascht fest, dass das ein Fehler war. Schwarz-Gelb müsse "mit Sicherheit irgendwann den Arbeitslosenversicherungsbeitrag angeben", sagte am Dienstag der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle. Im Gespräch sind 4,5 Prozent ab 2011.
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm beteuerte zwar vor Journalisten in Berlin, beschlossen sei noch nichts. Gleichzeitig verwies er auf die Koalitionsvereinbarung, wonach die neue Regierung "die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent vom Lohn" halten wolle. Auch das war alles andere als ein Dementi. Was ergeben 19,9 Prozent Rentenversicherung plus 15,5 Prozent Krankenkasse plus 4,5 Prozent für die Arbeitsagentur? Richtig, exakt 39,9 Prozent. Vorausgesetzt, die Mehrkosten für die Gesundheit lassen sich anders aufbringen als durch reguläre Beiträge.
Die zweite Runde der Steuersenkungen, die Schwarz-Gelb eigentlich im nächsten Jahr beschließen will, wird vor diesem Hintergrund immer unwahrscheinlicher. Mit ihrem Aufstand gegen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben die Ministerpräsidenten schon vorgebaut. Weitere Nachlässe sind allenfalls denkbar, wenn sie durch den Wegfall bisheriger Vergünstigungen kompensiert werden.
Ein Unsicherheitsfaktor ist der weitere Fortgang der Krise. Der Rückgang beim Konsumklima, die anhaltende Unsicherheit in der Bankenbranche und die Prognosen für den Arbeitsmarkt lassen die Zweifel wachsen, ob die Rezession bis Ende nächsten Jahres wirklich schon überstanden ist.
Bei Schröder währte die Begeisterung über den heldenhaften Wortbruch nur kurz. Der Unmut wuchs, vor allem in den eigenen Reihen. Nach einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gab er schließlich auf. In dieser Hinsicht hat Schwarz-Gelb immerhin vorgebaut. Schäuble will seine Sparpläne im Juli präsentieren, zwei Monate nach dem Düsseldorfer Wahltermin.
Auf andere Bundesländer kann die Berliner Regierung dann keine Rücksicht mehr nehmen. Das nächste Votum ist im Frühjahr 2011 angesetzt, in Baden-Württemberg. Dem dortigen Landesverband hat Merkel bereits geholfen, indem sie das Personalproblem Günther Oettinger löste. Mehr kann sie für die Parteifreunde im Südwesten dann nicht mehr tun.
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