Schwarz-Grün in NRW: „Kein großer Wurf“
Die Grünen wollen auch in NRW in Verhandlungen mit der CDU einsteigen. Die Zustimmung eines kleinen Parteitags gilt als Formalie.
Nach „guten und intensiven Gesprächen“ gebe es eine „belastbare Grundlage“ für ein Bündnis mit der CDU, erklärte Neubaur. Der bisher mit Unterstützung der FDP amtierende Ministerpräsident Wüst dankte „den Grünen für konstruktive, ernsthafte und den Herausforderungen angemessene Beratungen“. Als Ergebnis präsentierten die Landesparteivorsitzenden ein 12-seitiges Sondierungspapier, das sich bereits wie ein kleiner Koalitionsvertrag liest. Die „Gleichzeitigkeit von Krisen“ wie der Ukrainekrieg, die Corona-Pandemie und die „Klima- oder Artenkrise“ erfordere „neue Bündnisse“, heißt es darin im ersten Satz.
Stilistisch ist dem Papier, das verspricht, „Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“ machen zu wollen, die Handschrift des Teams um die oft wolkig formulierende Neubaur deutlich anzumerken. Inhaltlich aber stand die CDU auf der Bremse – im Vergleich zu ihren Wahlversprechen müssen die Grünen viele Abstriche machen.
Zwar verkünden die Autori:nnen des Sondierungspapiers, in der Energiepolitik „sämtliche für Photovoltaik geeignete Flächen“ nutzen zu wollen. Von der im Wahlkampf geforderten „Solarpflicht“ ist dagegen nicht mehr die Rede. Auch der Ausbau der Windkraft dürfte gebremst vorangehen: In den kommenden 5 Jahren sollen „mindestens 1.000 neue Windkraftanlagen entstehen“ – aktuell stehen in NRW aber bereits 3.500 Windräder. Fallen soll aber die massiv kritisierte 1.000-Meter-Abstandsregelung zu Wohnbebauung.
Mehrere Dörfer wohl vor Braunkohlebagger gerettet
Hier haben sich die Grünen ebenso durchgesetzt wie beim Abbau des Klimakillers Braunkohle: Wie auch die SPD bekennt sich die CDU zum Kohleausstieg 2030. Angekündigt wird eine „zeitnahe neue Leitentscheidung“ zum Braunkohleabbau im Rheinischen Revier. Verlangsamt werden könnte so auch die Heimatzerstörung durch den Tagebau Garzweiler. „Alle Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts sollen bleiben“, heißt es in dem Sondierungspapier. Für die Orte Keyenberg, Kuckum, Unter- und Ober-Westrich sowie Berverath könnte das die Rettung bedeuten.
Im Bereich Mobilität ist dagegen deutlich spürbar, dass der grüne Verkehrsexperte Arndt Klocke nicht Teil des Sondierungsteams war. Zwar sollen in den kommenden fünf Jahren 1.000 Kilometer neue Radwege entstehen. Vom im Wahlkampf geforderten massiven Kurswechsel weg vom Kraftfahrzeug ist dagegen nur noch indirekt Rede: Der Bau immer neuer Landesstraßen soll weiter möglich sein – versprochen wird immerhin, mindestens so viel Geld in Radwege zu stecken wie in den Autoverkehr. Zur Umsetzung einer „Mobilitätsgarantie“ wird außerdem ein landesweites Schnellbusnetz angekündigt. Vom verbindlichen 1-Stunden-Takt, den die grüne Parteichefin Neubaur immer wieder ins Spiel gebracht hat, fehlt dagegen jedes Wort.
15.000 neue Polizisten
In der Bildungspolitik kündigen beide Parteien die Einstellung von 10.000 zusätzlichen Lehrer:innen an. An den Grundschulen sollen Lehrkräfte endlich ebenso viel Geld erhalten wie ihre Kolleg:innen an den weiterführenden Schulen – das hatten beide Parteien gefordert. Endgültig vom Tisch ist dagegen die vollständige Inklusion von Schüler:innen mit Handicap in Regelschulen. Auch in der Innenpolitik hat sich die CDU mit ihrer Forderung nach 15.000 neuen Polizist:innen durchgesetzt. Das restriktive, die Demonstrationsfreiheit einschränkende Versammlungsgesetz des bisherigen CDU-Innenministers Herbert Reul bleibt ebenfalls in Kraft, soll aber bis Ende 2023 „unabhängig und wissenschaftlich“ evaluiert werden.
Im Gesundheitsbereich will Schwarz-Grün weiter auf eine „Spezialisierung der Krankenhäuser“ setzen – die Klinikschließungen dürften also weitergehen. Kommen soll dagegen die von der CDU schon vor der Landtagswahl am 15. Mai angekündigte Änderung des Hochschulgesetzes, mit der ein „Tarifvertrag Entlastung“ für die sechs NRW-Unikliniken, deren Beschäftigte seit vier Wochen für mehr Personal streiken, möglich werden soll.
Überhaupt scheint der gesamte Bereich „Arbeit und Soziales“, der in dem Sondierungspapier nicht einmal eine halbe Seite einnimmt, unterbelichtet. Angekündigt wird hier vor allem eine Stärkung der Ausbildungsberufe, die von CDU-Arbeits-und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann seit langen gefordert wird.
Beim Thema Migration ist dagegen die Handschrift der integrationspolitischen Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, Berivan Aymaz, zu erkennen. Einbürgerungsverfahren sollen beschleunigt, „ausländische Fachkräfte“ gewonnen werden. Für „gut integrierte Geflüchtete“ sollen „alle humanitären und aufenthaltssichernden Bleiberechtsregelungen ausgeschöpft“ werden. Allerdings: Für diejenigen, auf die diese wolkige Formulierung nicht zutrifft, bleibt weiter nur die „freiwillige Rückkehr oder eine Rückführung“ – also die Abschiebung.
Kritik vom BUND
An der Parteibasis, in der Unterstützer:innen-Szene dürften die Kröten, die die Grünen schlucken müssen, nicht unbemerkt bleiben. „Kein großer Wurf“ sei das „ausbaufähige“ Sondierungspapier, sagte etwa der Sprecher des Umweltverbands BUND in Nordrhein-Westfalen, Dirk Jansen, der taz.
Von ihrer verbindlichen Forderung, das bevölkerungsreichste Bundesland bis 2040 klimaneutral zu machen, habe sich die Partei offenbar verabschiedet. Im rheinischen Revier solle das Dorf Lützerath offenbar geopfert werden, und zum „Schwarzbau“ des letzten deutschen Steinkohlekraftwerks Datteln IV fehle jedes Wort. „Das Papier ist eine unterambitionierte Grundlage“, so Jansen in einer ersten Reaktion, „die im Rahmen von Koalitionsverhandlungen deutlich verbessert werden muss.“
Dass die auf jeden Fall aufgenommen werden, scheint beschlossene Sache. Der grüne Landesvorstand hat Bündnis-Verhandlungen mit der CDU des Wahlsiegers Hendrik Wüst, der bei der Landtagswahl am 15. Mai 35,7 Prozent einfahren konnte, bereits zugestimmt. Auch die Unterstützung des CDU-Landesvorstands gilt als sicher. Bei den Grünen endgültig entscheiden soll am Sonntagnachmittag ein in Essen tagender kleiner Parteitag, zu dem etwa 100 Delegierte erwartet werden.
Deren Zustimmung gilt aber offenbar als reine Formalie – von der einstigen Basisdemokratie ist nicht mehr viel zu spüren. Zu den „gemeinsamen Antworten“ für die „Zukunft Nordrhein-Westfalens“ heißt es im Sondierungspapier schon jetzt diskussionslos: „Im Rahmen von vertieften Koalitionsgesprächen werden diese ergänzt.“
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