Schwarz-Grün in Hessen – und im Bund?: Elektroauto und Abschiebeflieger
Seit drei Jahren regiert der Grüne Tarek Al-Wazir in Hessen mit der CDU. Für Schwarz-Grün im Bund will er aber nicht werben.
Der Gastgeber berichtet über das Projekt, das den Weg in die E-Mobilität weist, und hält sich eng an sein Manuskript. Der 46-jährige Minister spricht dagegen weitgehend frei. Als Einziger in der Runde von Managern und Wissenschaftlern trägt der Grüne keinen Schlips. Er begrüßt viele im Raum persönlich und doziert im offenen Hemd. „Schließlich ist das eine Sommertour“, sagt er grinsend.
Al-Wazir ist erkennbar in seinem Element. Er sagt anderen, wo es langgeht. Daran ist er seit vielen Jahren gewöhnt. So war es zuerst in Offenbach in der SchülerInnenvertretung, dann bei der Grünen Jugend, schließlich in Landespartei und Landtagsfraktion. Seit drei Jahren ist Al-Wazir Stellvertreter des hessischen Ministerpräsidenten, Volker Bouffier, CDU.
Hessen gilt den grünen Realos im Bund als Blaupause. Im letzten Landtagswahlkampf hatte Al-Wazir den Christdemokraten Bouffier noch als „Rechtspopulisten“ beschimpft. Inzwischen sind die beiden per Du. Die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland funktioniert geräuschlos.
Ziemlich beste Freunde, die das Modell für Berlin liefern? Zwischen zwei Terminen überrascht Al-Wazir den taz-Korrespondenten: „Grüne und SPD haben nach wie vor politisch mehr Gemeinsamkeiten als Grüne und CDU“, sagt er. „Wir haben im Bund sieben Jahre gemeinsam gut regiert.“
Keine Koalition um jeden Preis
Nein, ein in der Wolle gefärbter Schwarz-Grüner ist er nicht. 2008 hatte seine Partei im hessischen Landtag schon einmal die Chance, zusammen mit der CDU zu regieren. Die ließ Al-Wazir damals bewusst aus. Nicht nur, weil der damalige Ministerpräsident Roland Koch im Wahlkampf mit fremdenfeindlichem Unterton gegen „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten“ plakatiert hatte.
Al-Wazir und die damalige SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti scheiterten dann allerdings auch bei dem Versuch, eine von den Linken geduldete rot-grüne Minderheitsregierung zu etablieren. Neuwahlen bescherten CDU und FDP eine satte Landtagsmehrheit. Für Al-Wazir hieß das fünf weitere Jahre Opposition.
Tarek Al-Wazir
Es ist zufällig der Tag des Dieselgipfels in Berlin. Der grüne Verkehrsminister spricht in Hanau über die Zukunft der Mobilität. Sieben Elektroautos des Typs Renault-Kangoo wurden für diese Projekt nachgerüstet. Sie fahren mit Batterie und mit Strom, der chemoelektrisch aus Wasserstoff gewonnen wird. Diese Autos bewegen sich fast lautlos, sie produzieren kein Abgas, aus dem Auspuff tropft reines Wasser. Mit Ökostrom erzeugter Wasserstoff könnte einst als Speichermedium dienen.
Die Landesregierung hat für das Projekt europäische Fördermittel beschafft. „Ich finde es bezeichnend, dass wir die Ideen, die auf dem Dieselgipfel in Berlin jetzt endlich diskutiert werden, in Hessen längst angepackt haben: Ladestationen ausbauen, E-Busse fördern, in Projekte der Elektromobilität investieren“, sagt der Minister.
Mit dem Audi lag er daneben
Auf der Fahrt von Hanau nach Darmstadt hat er Mühe, seine Beine in seinem kleinen Auto unterzubringen. Es ist ein BMW 2 Hybrid. Der Ministerwagen, ein Audi A6 mit Dieselmotor, steht in der Garage. Den hatte er beschaffen lassen, weil er nur 109 Gramm CO2 ausstößt. Jetzt gilt das Auto wegen der Stickoxide als Stinker. So schnell liegt man daneben.
In Darmstadt trifft er die Verantwortlichen für das Projekt „Digitale Stadt“. Vergnügt berichtet er, dass seine grünen Kollegen in Stuttgart nicht erfreut gewesen seien, als die hessische Universitätsstadt und nicht Stuttgart den bundesweiten Wettbewerb „Digitale Stadt“ gewinnen konnte. Es geht um die Entwicklung von Visionen.
Die Straßenlaternen könnten einmal vernetzt werden, um Daten über den Verkehrsfluss, Temperaturen und Luftverschmutzung zu liefern; sie könnten als Ladestationen für e-Fahrzeuge dienen und für einen freien Internetzugang sorgen. Schon bald wird es in Darmstadt eine App geben, die alle aktuellen Daten der Ampeln auswertet. Daraus werden Prognosen für jeden Verkehrsteilnehmer errechnet. Schon hundert Meter vor einer Ampel zeigt das Display deren Grünphasen an.
Dass er nach der Landtagswahl 2014 seine hessischen Grünen in diskreten und zielstrebigen Verhandlungen in ein schwarz-grünes Bündnis führte, findet Al Wazir auch in der Rückschau gut. „Wir hatten zu entscheiden: Noch eine große Koalition oder wagen wir einen Versuch mitzugestalten?“, sagt er und verlangt, an den Ergebnissen seiner Regierungspolitik in Hessen gemessen zu werden. „Im Ökolandbau sind wir inzwischen bundesweit auf Platz eins, zwölf Prozent der Betriebe haben umgestellt. Wir haben gerade die tausendste Windkraftanlage in Hessen in Betrieb genommen, wir holen auf.“ Dazu muss man wissen, dass die hessische CDU in ihren Wahlkämpfen gegen „Windkraftmonster“ zu Felde gezogen war.
Erfolge und Kröten
Auch andere „Fehler“ aus der Regierungszeit von Roland Koch habe man „abgeräumt“, sagt Al-Wazir. Die Förderung von Frauenhäusern und Schuldnerberatungsstellen, von Koch gestrichen, sei wieder aufgenommen worden. Und schließlich habe Hessen als erstes Bundesland eine alte grüne Forderung umgesetzt, das landesweite gültige Schülerticket für Bus und Bahn. „Das ist doch was“, sagt der Minister.
Die Grünen mussten aber auch einige Kröten schlucken. Sie haben der Erweiterung der sicheren Herkunftsländer zugestimmt. Auch aus Hessen werden Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben. Aus Protest gegen den Kurswechsel hat die grüne Landtagsabgeordnete Mürvet Öztürk ihre Fraktion verlassen. Sie sitzt jetzt im Parlament zwischen den Stühlen von SPD und Linken.
Der Kampf gegen den Bau der Startbahn West in den 1970er Jahren gehört zum Gründungsmythos der Partei. Jetzt ist ein grüner Minister zuständig für den Airport, der weiter wächst. Die Rabatte, mit denen Fraport Billigfluglinien anlockt, hat der grüne Minister sogar selbst durchgewinkt.
Die KritikerInnen des Flughafenausbaus sind sauer. Die Fluglärmbeauftragte der Stadt Frankfurt, Ursula Fechter (SPD) sagt der taz: „Al-Wazir hat unsere Erwartungen enttäuscht. Sein Vorschlag für eine Lärmobergrenze bedeutet nicht weniger, sondern mehr Fluglärm.“ Bei Demonstrationen skandieren Aktivisten inzwischen auch schon mal: „Al-Wazir muss weg.“
Minister zufrieden, Opposition nicht
Der Minister zuckt mit den Schultern. „Die werde ich nicht überzeugen können, andere schon“, sagt er und fügt hinzu: „Wahrscheinlich mache ich einen guten Job, wenn alle, Luftverkehrswirtschaft, Ausbaugegner und Anrainer, mit mir ein bisschen unzufrieden sind.“
„Das hessische Stillstandsbündnis darf kein Modell für Berlin werden“, poltert SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel. „Ich reibe mir manchmal die Augen bei dem, was die Grünen in dieser Koalition alles machen“, sagt er der taz. Linken-Fraktionschefin Janine Wissler spricht von einem „Versuchsballon“. „Wer mit der rechtslastigen hessischen CDU klarkommt, der kann auch mit Seehofer regieren und, wenn es nicht anders geht, sogar mit der FDP“, sagt sie.
Tarek Al-Wazir hat sichtlich Spaß an seiner Regierungstour durch Projekte der Elektromobilität. Er hat im Landtag lange Jahre auf der Oppositionsbank zugebracht. Hätte es mit der Regierungsbeteiligung 2014 nicht geklappt, wäre er wohl ausgestiegen.
Die Grünen im Bund sind schon seit 16 Jahren in der Opposition. Seine Partei habe mit den zehn Eckpunkten des Wahlprogramms eine gute Grundlage für Koalitionsverhandlungen, meint Al-Wazir. „Reden muss man mit allen, ich bin gegen Ausschließeritis“, sagt er und fügt an: „Man muss allerdings auch so frei sein zu sagen, es geht nicht.“
Buchprojekt ist eingefroren
Eigentlich wollte Al-Wazir das hessische Modell öffentlich weiterempfehlen. Der Online-Buchhändler Moluna wirbt immer noch für ein Buch, das am 15. September im Herder-Verlag erscheinen sollte und das es erst einmal nicht geben wird. Unter dem Titel „So geht Schwarz-Grün“ war das Werk angekündigt. Auf dem Cover wirbt der Verlag mit Fotos der beiden prominenten Autoren, Ministerpräsident Bouffier und sein Stellvertreter Al-Wazir.
„Das Buchprojekt wurde im Juni auf Eis gelegt“, bestätigt eine Sprecherin des Herder-Verlags entsprechende Medienberichte: „Es kommt immer mal wieder vor, dass ein angekündigtes Buch aus dem Programm genommen wird“, sagt sie der taz. Al-Wazirs Pressesprecher ergänzt, es gebe weder erste Texte, noch sei je ein Vertrag unterschrieben worden. Als Begründungen für die Stornierung des Projekts werden Meinungsverschiedenheiten und Missverständnisse zwischen Verlag und Autoren genannt.
„Wenn wir offen auf Schwarz-Grün setzen, verlieren wir zwei Prozent“, hatte vor Monaten ein einflussreicher hessischer Grüner der taz gesagt. Glaubt man den aktuellen Umfragen, reicht es für ein Bündnis von CDU und Grünen im Bund sowieso nicht. Eine „schwarz-grüne Erfolgsgeschichte“ aus Hessen dürfte da weder der CDU noch den Grünen ins Konzept passen.
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