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Schwarz-Grün in HamburgVieles spricht dafür

Bald wählt Hamburg seine Bürgerschaft. Die CDU erwägt ein Bündnis mit der GAL - deutschlandweit das erste auf Landesebene. In Altona regiert längst Schwarz-Grün.

Schwarz-grünes Team: CDU-Fraktionschef Szcesny und GAL-Fraktionschefin Boehlich Bild: dpa

Einem Betrieb droht die Schließung, auch das kommt vor in der Boomtown Hamburg. Betroffen sind 217 Mitarbeiter des Automobilzulieferers Kolbenschmidt, das Wort hat die Abgeordnete Gesche Boehlich. Boehlich, 49 Jahre, blonde Haare, hanseatisch-blaues Jackett, tritt ans Pult des Altonaer Bezirksparlaments. Sie ist hier die Fraktionschefin der Grün-Alternativen Liste (GAL), wie die Grünen an der Elbe immer noch heißen.

Boehlich fixiert ihren Vorredner von der SPD, dann giftet sie: "Sie streuen den Menschen Sand in die Augen!" Applaus von der GAL und ihrer Koalitionspartnerin CDU. "Zu glauben, dass die Werksschließung durch das Baurecht verhindert werden könnte - das ist Blödsinn!"

Blödsinn? Jahrelang priesen die Hamburger Grünen, 1979 gegründet als einer der linksradikalen Landesverbände, das Baurecht als kommunalpolitische Waffe im Kampf gegen Immobilienspekulation, Flächenfraß, Gentrifizierung und auch Arbeitsplatzabbau. Man müsse bloß die Bebauungspläne mit entsprechenden Auflagen versehen, dann würden Unternehmer sich schon den politischen Erwartungen beugen. Und nun beschränkt sich Boehlichs GAL auf einen "Appell an das Konzernmanagement", seine Standortüberlegungen zu überdenken?

Am nächsten Morgen, es ist ein trüber Frühwintertag, kommt Gesche Boehlich gut gelaunt zur GAL-Geschäftsstelle im Stadtteil Ottensen, fünf Gehminuten vom Bahnhof Altona gelegen. Sie ist direkt von ihrem Zuhause, dem Blankeneser Treppenviertel, hierhergefahren. Die S-Bahn verkehrt alle zehn Minuten, Boehlich quetscht ihren Mittelklassewagen in eine Parklücke.

"Es ärgert mich, Ziele zu haben, die nicht zu erreichen sind", sagt sie. "Man muss den Menschen real erzählen, was geht und was nicht." Sie sagt das nicht nur bezogen auf die Debatte in der Bezirksversammlung. Sondern auf den Geist ihrer schwarz-grünen Koalition in Altona, Hamburgs westlichstem und wohl gegensätzlichstem Bezirk: 250.000 Menschen leben hier, verteilt auf die Szeneviertel Ottensen und Schanze, die Problemstadtteile Osdorfer Born und Altona-Nord sowie die großbürgerlich wohlhabenden Elbvororte Blankenese und Rissen. Nirgendwo in der Hansestadt klafft die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander als in Altona, der Bezirk ist eine Miniatur Hamburgs.

Seit bald vier Jahren regieren hier GAL und CDU gemeinsam - reibungslos, pragmatisch, lösungsorientiert. Die GAL toleriert auch mal Tempo 60, gibt sich investorenfreundlich und drückt bei Baumfällaktionen ein Auge zu; im Gegenzug stänkert die CDU jetzt nicht mehr so laut gegen die Bauwagenplätze und trägt neuerdings sogar das Bleiberecht für afghanische Flüchtlinge mit. Gesche Boehlich sagt: "Es gibt Toleranz und Offenheit auf beiden Seiten. Und Respekt - wie wir ihn unter Rot-Grün nie erfahren haben. Die SPD behandelte uns stets wie unmündige Kinder."

Dass man sich gerade jetzt für diese Kommunalregierung interessiert, hat einen Grund: Am 24. Februar wählen die Hamburger eine neue Bürgerschaft, wie das Landesparlament an der Elbe heißt. Sollte der Erste Bürgermeister Ole von Beust seine absolute Mehrheit verlieren, aber die CDU dennoch stärkste Fraktion bleiben, gefolgt von der SPD, der GAL und der Linken - sollte also das wahr werden, was die Wahlforscher voraussagen, dann wäre in Hamburg entweder eine große Koalition möglich. Oder ein schwarz-grünes Regierungsbündnis. Es wäre deutschlandweit das erste auf Landesebene. Vieles spricht dafür.

Nicht nur der desolate Zustand der Hamburger SPD, die sich von dem Ende ihrer mehr als 40-jährigen Herrschaft im Jahr 2001 nicht erholt hat. Hoffnungsträger wie der ehemalige Altonaer Kreischef Olaf Scholz oder der einstige Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow haben sich als Bundesarbeitsminister oder Staatssekretär nach Berlin gerettet. Unterdessen benehmen sich die aufgerückten Hinterbänkler wie ignorante Fürsten, die glauben, sie hätten die ihnen qua Geburt in die sozialdemokratische Familie zustehende Macht nur vorübergehend ausgeliehen.

Als im Frühjahr im erbitterten Streit um die SPD-Spitzenkandidatur für die Bürgerschaftswahl eine Wahlurne in der SPD-Zentrale verschwand, war das nur vordergründig eine Posse. In Wahrheit war der absurde - und bis heute unaufgeklärte - Diebstahl symptomatisch für die Krise der Hamburger SPD.

Entsprechend gering ist die Lust bei CDU wie GAL, mit der SPD zu koalieren. Auch wenn das offiziell, vor allem bei der GAL, kaum jemand ausspricht. Zu groß ist die Angst, Wähler zu verschrecken, die Schwarz-Grün ungeachtet der sich wandelnden Verhältnisse - grüne Verbürgerlichung auf der einen Seite, schwarze Liberalisierung auf der anderen - als Tabubruch empfinden. "Unsere Gemeinsamkeit ist, dass wir den Menschen nicht die Selbstverantwortung entziehen wollen", sagt Boehlich. "Vielleicht sind wir uns von unserem Herkunftsmilieu her insofern ähnlich."

Vielleicht? Boehlich hat vor 30 Jahren in der Praxis ihres Vaters Zahnarzthelferin gelernt, später heiratete sie einen Erben aus einer Hamburger Millionärsfamilie. Der geht aus Freude am Beruf halbtags als Ozeanograf Geld verdienen, während sie drei Kinder, 20, 18 und 13 Jahre alt, großzieht. Über eine Elterninitiative kam sie in den 90er-Jahren zu den Grünen. Gesunde Ernährung, gute Bildungschancen und eine saubere Elbe als Austragungsort für ihre Segelregatta am Wochenende - Boehlich fühlte sich heimisch in der Partei.

Als 1999 im Streit um den Kosovokrieg Hamburger Grüne den Exodus der letzten Fundis aus der Partei anführten, wurden Posten frei. In Altona stieg Boehlich bald zur Fraktionschefin auf. Auf der Internetseite ihrer Partei hat sie als Beruf "Hausfrau" angegeben, ihre Kinder schickt sie auf das althumanistische Christianeum: "Das Gymnasium ist nun einmal eine deutsche Traditionsschule." Gegen leistungsorientierte Privatschulen hat sie auch nichts: "Ich finde es vernünftig, dass es nicht nur diesen Einheitsbrei gibt." Elitärer formuliert das nicht einmal die CDU.

Wie sich das grüne Milieu verändert hat, kann man auf einem Spaziergang durch Ottensen beobachten, auf dem Weg zu Uwe Szczesny, dem Altonaer CDU-Fraktionschef: Wo einst in abgewrackten Altbauten Punks, Ausländer und Freaks ihr Quartier hatten, hängen heute Blumenkästen mit selbst gezüchteten Tomaten an den sanierten Fassaden. Die Kindergärten heißen Kinderläden, es gibt Latte to go an jeder Straßenecke, den Öko-Wochenmarkt und Eigentumswohnungen zu atemberaubenden Preisen für hippe Familien. Treu geblieben ist sich der Vorzeige-Multi-Kulti-Kiez in seinem Wahlverhalten: Ottensen hat immer Grün gewählt, bei der Bürgerschaftswahl 2004 wurde die GAL hier mit 32,6 Prozent stärkste Partei.

Unterwegs trifft man auf seinem Fahrrad Dr. Martin Schmidt. Schmidt, grüner Oberrealo, jenseits der 70, ein gebürtiger Bayer, den seine Leidenschaft, die Altphilologie, vor Jahrzehnten nach Ottensen verschlug, ist so etwas wie der Elder Statesman der Hamburger Grünen. Schmidt ist der Schwager von Gesche Boehlich. Mittlerweile ist er nach Blankenese umgezogen: "Das Großbürgertum ist angenehm wenig borniert."

Er trägt immer noch die Baskenmütze, sein Markenzeichen, im Fahrradkorb liegen jetzt keine linksalternativen Postillen mehr, sondern die FAZ. Als Rentner, sagt er spitzbübisch grinsend, müsse er die Zahl seiner Quellen beschränken. Warum sollte er sich in diesem Punkt auch von seiner Partei unterscheiden? "Heute", konstatiert Schmidt, "gibt es keine Strömungen mehr bei den Grünen, heute geht es nur noch um die eigene Karriere." Er sagt das nicht mit Wehmut, eher wie ein Vater, der erleichtert feststellt, dass aus seinen rebellischen Kindern doch etwas geworden ist.

Ein schwarz-grünes Landesbündnis wäre so etwas wie die Krönung seiner jahrzehntelangen innerparteilichen Erziehungsversuche. "Ich", sagt Schmidt, "war schon Anfang der 80er-Jahre Gastredner bei der Jungen Union." Von Beust und er hätten sich verstanden, wiewohl schwarz-grüne Planspiele angesichts der übermächtigen SPD zu jener Zeit utopisch erschienen. Ihren Umgang auf Augenhöhe haben sich von Beust und Schmidt bewahrt. "Wenn ich im Rathaus anrufe, werde ich durchgestellt", sagt Schmidt. Das sind die Dinge, die zählen.

"Im Grunde hängt alles von den Personen ab", sagt Uwe Szczesny, der Altonaer CDU-Fraktionschef. Deswegen habe er auch am Wahlabend 2004 sofort Gesche Boehlich die Koalition angeboten. "Ich kannte sie aus der Bezirksversammlung, ich wusste, auf die ist Verlass." Natürlich habe es Skepsis gegeben. Aber, sagt Szczesny: "Sich zu verweigern war noch nie meine Haltung." Tapfer sei er also mitgegangen zu den Altonaer Bauwagenplätzen, die seine Partei ursprünglich auflösen wollte. Habe sich dort von "einem verwegen aussehenden, geruchlich kaum auszuhaltenden Menschen" mit dem gezückten Messer begrüßen lassen. Habe klargemacht, dass seine CDU für die uralte hanseatische Devise "Leben und leben lassen" einstehe, vorausgesetzt, gewisse Regularien würden eingehalten.

Szczesny ist jetzt 62 Jahre alt. Er hat zwei Söhne von zwei Frauen; beide Ehen, das erzählt er freimütig, sind gescheitert. Sein Bürgermeister liebt einen anderen Mann. Soll er derjenige sein, der bürgerliche Lebensformen zu den einzig akzeptablen erhebt?

Am Ende hatte der Typ mit dem Messer Szczesny seine Handynummer zugesteckt: "Falls du mal in Schwierigkeiten bist." Szczesny lächelt. "Ich habe dank der Grünen Bürger kennengelernt, denen ich sonst im Leben nicht begegnet wäre." Er weiß um seinen Vorteil: Er erkundet fremde Welten und bringt dort christdemokratische Sichtweisen ein. Neue Wählerschichten ergründen nennt man das. Mittlerweile ist er auch in Boehlichs Segelverein eingetreten.

Sogar für einen grünen Bezirksamtsleiter hat Szczesny sich im Sommer starkgemacht: Er wollte den ebenso polemischen wie charismatischen Alt-68er und Grünen-Mitgründer Jo Müller haben. Das war bereits im Hinblick auf die Zeit nach der Bürgerschaftswahl gedacht: "Es wäre ein Zeichen von der CDU an die Bevölkerung gewesen, dass wir mit grünen Inhalten gut leben können." Verhindert wurde Jo Müller, 60, Politikdozent an der Uni Oldenburg, in letzter Minute - von den Landesgrünen. Müller hatte den Bogen für den Geschmack vieler überspannt: Bereits vor seiner Wahl gab er Interviews, in denen er Schwarz-Grün als hamburgweites Ziel ausrief.

Im Vorgarten in Hamburg-Othmarschen stehen ein Bierkasten und anderes Leergut. Es ist 13 Uhr, Müller öffnet im Bademantel, er hat die Verabredung vergessen. Hektisch sucht er nach Kleidung, dann nach Milch, er findet keine, seine Hündin macht es sich derweil auf dem knallroten Ledersofa bequem.

"Ich vermeide den Begriff Anpassung", sagt Müller über die Grünen, als er sich gesammelt hat. Er gibt sich keine Mühe, nicht verächtlich zu klingen. Aus Angst, selbst nicht wieder gewählt zu werden, hätten sie seine Wahl vermasselt. "Dabei habe ich nur ausgesprochen, was auf der Hand liegt."

Sein 19-jähriger Sohn kommt aus der Schule, Christianeum, was sonst. Er fläzt sich zu der Hündin. Wie er, der Erstwähler, es denn findet, dass sein Vater, der Alt-68er, als treibende Kraft für Schwarz-Grün in die Hamburger Geschichte eingehen könnte? Der Sohn guckt verständnislos: "Ich politisiere mich bei den Autonomen."

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