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Schwangerschaftsberatung in ThüringenKein Geld mehr übrig

Schwangerschaftsberatungsstellen in Thüringen sind seit Jahren unterfinanziert. Die Politik sagt, sie habe das Thema auf der Agenda.

Ein Staubsauger ist das einzige, was eine Schwangerschaftsberatungsstelle seit 2020 angeschafft hat Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa

Leipzig taz | Einen Staubsauger – das ist das einzige, was die Schwangerschaftsberatungsstelle der Awo im thüringischen Mühlhausen seit 2020 angeschafft hat. Eigentlich bräuchte die Einrichtung dringend einen Laptop, erzählt Franziska Röser am Telefon. Die 42-Jährige leitet die Beratungsstelle seit drei Jahren. „Wir führen sehr viele sexualpädagogische Projekte an Schulen und in Behinderteneinrichtungen durch. Hätten wir einen Laptop, könnten wir auch mal eine Präsentation zeigen.“ Doch dafür fehlt der Beratungsstelle das Geld.

Grund dafür ist, dass die sogenannte Sachkostenpauschale, die die Thüringer Schwangerschaftsberatungsstellen jährlich vom Land bekommen, seit 2011 nicht erhöht worden ist. Pro vollzeitbeschäftigter Schwan­ger­schafts­be­ra­te­r:in erhält eine Einrichtung in Thüringen 16.000 Euro. Eine Beratungsstelle mit einer Vollzeit- und einer Teilzeit-Beratungsfachkraft, die 20 Stunden in der Woche arbeitet, bekommt also 24.000 Euro im Jahr.

Davon muss die Schwangerschaftsberatungsstelle Miete und Nebenkosten bezahlen, Internet und Telefon, Fortbildungen, Fahrtkosten, Supervision, Versicherungen, Druckerpatronen, Papier, Kugelschreiber, Kontoführungsgebühr, Porto und Putzmittel. Hinzu kommen – und das ist das große Problem – die Personalkosten für Verwaltungskräfte, also Personen, die Termine vereinbaren, Ratsuchende empfangen und ans Telefon gehen. Diese müssen die Einrichtungen ebenfalls von der Sachkostenpauschale bezahlen. Die Personalkosten für die Schwan­ger­schafts­be­ra­te­r:in­nen hingegen übernimmt das Land Thüringen separat.

In Thüringen gibt es 26 Schwangerschaftsberatungsstellen. Diese unterstützen Schwangere zum Beispiel bei persönlichen und finanziellen Nöten und beraten zum Thema Abtreibung. Wer eine Schwangerschaft abbrechen möchte, ist gesetzlich dazu verpflichtet, eine sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatung zu machen. 2022 haben in Thüringen knapp 8.500 Menschen Rat bei Schwangerschaftsberatungsstellen gesucht. Darüber hinaus wurden 4.200 Konfliktberatungen durchgeführt, Folgeberatungen miteingerechnet. Ohne die Konfliktberatung ist in Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch nicht möglich.

Kleine Einrichtungen besonders in Not

Alle Beratungsangebote sind kostenlos. Das heißt, die Einrichtungen verdienen kein Geld daran, sie sind gänzlich auf die Fördermittel des Landes angewiesen. Je mehr Schwan­ger­schafts­be­ra­te­r:in­nen in einer Einrichtung arbeiten, desto mehr Geld bekommt diese vom Land. Die Zahl der Be­ra­te­r:in­nen hängt von mehreren Faktoren ab, etwa von der Ein­woh­ne­r:in­nen­zahl des Einzugsgebietes, dem Anteil an Frauen zwischen 15 und 49 Jahren und der Geburtenrate. Laut Schwangerschaftskonfliktgesetz braucht es je 40.000 Ein­woh­ne­r:in­nen mindestens ei­ne:n Vollzeit-Berater:in.

„In der Stadt Erfurt haben die Einrichtungen natürlich mehr Be­ra­te­r:in­nen als im ländlichen Raum“, sagt Julia Hohmann, Referentin für Frauen und Familie beim Paritätischen Thüringen. Von der Sachkostenpauschale profitierten insbesondere „große Beratungsstellen, die vier Vollzeit-Berater:innen haben“. In Thüringen gebe es aber viele kleine Einrichtungen, die nur 1,1 Vollzeitbeschäftige hätten.

Franziska Röser von der Awo-Schwangerschaftsberatungsstelle in Mühlhausen kann nicht verstehen, warum das Land die Pauschale seit 2011 nicht angehoben hat. „Es ist alles teurer geworden“, sagt die Schwangerschaftsberaterin, von Strom, Gas und Benzin bis hin zu Bürobedarf. „Löhne und Sozialleistungen wurden in den vergangenen zwölf Jahren ja auch angepasst.“

Neben Röser sind in der Einrichtung in Mühlhausen und der Außenstelle im nahegelegenen Bad Langensalza drei weitere Be­ra­te­r:in­nen angestellt. Röser arbeitet 36 Stunden pro Woche, ihre Kolleginnen 32, 30 und 14 Stunden. „Insgesamt haben wir also 2,8 Vollzeitkräfte“, sagt Röser – was einer Sachkostenpauschale von 44.800 Euro pro Jahr entspricht. „Davon müssen wir zwei Beratungsstellen mit je einer Verwaltungsfachkraft finanzieren.“

Träger müssen immer mehr obendrauf legen

Das sei wegen der stark gestiegenen Inflation aber kaum noch machbar. Der Eigenanteil, den der Träger erbringen müsse, liege Röser zufolge schon seit mehreren Jahren über der gesetzlichen Vorgabe von 20 Prozent, 2022 zum Beispiel bei 21,5 Prozent. Auch Julia Hohmann vom Paritätischen teilt mit, dass viele Beratungsstellen in Thüringen die 20-Prozent-Grenze überschritten hätten. „Das ist nicht erst seit diesem Jahr so, sondern schon mindestens seit drei Jahren.“

Unter dem immer größer werdenden Eigenanteil litten vor allem kleine Träger wie Pro Familia, die nur Beratungen rund um Schwangerschaft, Verhütung und Kinderwunsch anböten und damit kein eigenes Einkommen hätten, sagt Hohmann. „Wenn sich nichts verändert, gehen kleine Träger an dem Eigenanteil kaputt.“

Spricht man das von der Linken geführte Thüringer Sozialministerium auf den wachsenden Eigenanteil an, heißt es, dass eine Überschreitung der 20 Prozent nicht bestätigt werden könne.

Die Caritas Erfurt hingegen stellt infrage, warum Träger überhaupt Eigenanteile leisten müssen. Schließlich seien Schwangerschaftsberatungen „Pflichtleistungen“ des Staates.

Sparmaßnahmen reichen nicht aus

Die Awo Thüringen hat in den vergangenen Jahren schon mehrere Trägerschaften für Schwangerschaftsberatungen abgegeben – „immer nur aus finanziellen Gründen“, sagt Röser. Eine Schwangerschaftsberatungsstelle sei für einen Träger „Luxus“. Bevor Röser 2012 angefangen hat, als Schwangerschaftsberaterin zu arbeiten, habe es in Thüringen „mindestens sechs“ Awo-Beratungsstellen gegeben. Heute gibt es nur noch eine einzige – die, die Röser leitet.

Um zu sparen, kauft Röser das Papier für den Kopierer nicht online, sondern geht zu Tedi oder Pfennigpfeiffer, einem Geschäft, das es nur in Ostdeutschland gibt. „Doch selbst in diesen Läden kostet eine Packung inzwischen sechs Euro“, sagt die Schwangerschaftsberaterin. Statt eine Reinigungsfirma zu engagieren, putzen Röser und ihr Team die Beratungsräume selbst – mit dem günstigsten Reinigungsmittel. Sie arbeiten an uralten, langsamen Computern. Wenn sie Fortbildungen besuchen – was Schwan­ger­schafts­be­ra­te­r:in­nen mindestens einmal im Jahr müssen –, dann nur welche in der Nähe.

Weil diese Sparmaßnahmen aber nicht ausreichten, musste die Leiterin zusätzlich die Stunden der Verwaltungsfachkraft kürzen – was ihr „sehr widerstrebt“ habe. Diese arbeitet jetzt nur noch 15 statt 20 Stunden in der Woche.

Das aber sei nicht nur für die Verwaltungsfachkraft blöd, sondern verringere auch die Qualität der Beratung. „Wenn ich eine Frau berate und ständig das Telefon klingelt, weil die Verwaltungsfachkraft gerade nicht im Dienst ist, dann stört das das Gespräch“, erklärt Röser. Um in Ruhe beraten zu können, brauche es Verwaltungsfachkräfte. Hohmann vom Paritätischen ergänzt: „Fast keine Beratungsstelle kann sich eine Vollzeit-Verwaltungsfachkraft leisten.“

Forderung: Land soll Verwaltungskräfte separat bezahlen

Awo, Paritätischer und Caritas fordern das Land Thüringen dazu auf, die Personalkosten für die Verwaltungsfachkräfte separat zu übernehmen. Dann müssten die Beratungsstellen sie nicht mehr aus dem Topf für die Sachkosten bezahlen. „Damit wäre den Einrichtungen schon sehr geholfen, dann hätten sie wieder Handlungsspielraum“, sagt Hohmann vom Paritätischen.

Sollten die Beratungsstellen die Verwaltungsfachkräfte jedoch weiter von der Pauschale bezahlen müssen, müsste die Pauschale „mindestens auf 22.000 bis 24.000 Euro“ angehoben werden, sagt Hohmann. Schon seit 2011 sei der Paritätische mit dem zuständigen Sozialministerium über die Erhöhung der Pauschale im Austausch.

Wie das von der Linken geführte Sozialministerium auf Anfrage mitteilte, sei ihm „die Forderung, die Verwaltungsfachkräfte separat als Personalkosten zu betrachten“, bekannt. Eine entsprechende Änderung der Förderverordnung sei „in der Bearbeitung“ und zum 1. Januar 2024 vorgesehen. Parallel sei die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, also des Thüringer Landtages, „maßgeblich“. Ob die Sachkostenpauschale dann noch 16.000 Euro betragen werde, wenn die Beratungsstellen davon nicht mehr die Verwaltungsfachkräfte bezahlen müssen, stehe laut Ministerium noch nicht fest.

Karola Stange, die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, bezeichnete die Forderung als „berechtigt“. Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen Laura Wahl teilte der taz mit, den „Hilferuf“ der Beratungsstellen wahrgenommen zu haben. In den anstehenden Haushaltsverhandlungen werde die Grünen-Fraktion darauf hinwirken, „dass die auskömmliche Finanzierung der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und die tarifgerechte Bezahlung selbstverständlich gesichert sind“.

Kritik aus der Opposition

Gleichzeitig wies die Grünen-Politikerin darauf hin, dass Thüringen die Personalkosten für die Schwan­ger­schafts­be­ra­te­r:in­nen „schon jetzt zu hundert Prozent“ fördere, „was bundesweit ein Alleinstellungsmerkmal ist“.

Das stimmt. Wie eine Umfrage der taz unter allen Bundesländern zeigt, bekommen die Schwangerschaftsberatungsstellen in allen anderen fünfzehn Ländern eine Pauschale, von der sie sowohl die Personal- als auch die Sachkosten bezahlen müssen. Je nach Bundesland werden achtzig bis neunzig Prozent der Gesamtkosten übernommen.

Auch die SPD-Landtagsabgeordnete Cornelia Klisch sagte, dass Thüringen „mehr für die Schwangerschaftskonfliktberatung“ mache als andere Bundesländer. Dennoch sei die Lage aufgrund der hohen Inflation angespannt. „Das spürt jede und jeder, so eben leider auch die Beratungsstellen.“

Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Robert-Martin Montag hingegen teilte gegen die rot-rot-grüne Landesregierung aus. „Das unbeirrte Festhalten an einer jahrealten Pauschale ist klar rechtswidrig“, sagte er. Diese müsse „selbstverständlich“ an die Kostenentwicklung angepasst werden.

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4 Kommentare

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  • und warum schafft man die Zwangsberatung nicht ab? Das wäre mal ein zivilgesellschaftlicher Fortschritt und spart dazu noch Geld.

    • @Wes:

      Da könnten sie ja genausogut versuchen den Popen das Beten zu verbieten ...

  • Wenn die BeraterInnen in den Streik gehen und deswegen Frauen nicht legal an eine Abtreibung kommen, muss der Staat dann Unterhalt für das ungewollte Neugeborene übernehmen?



    Ich habe den bösen Eindruck, dass mit der Unterfinanzierung gleiche Kräfte am Werk sind, wie mit den Verboten bestimmter Medikamente in anderen Ländern. Der Staat will die Beratung, dann muss der Staat auch dafür sorgen, dass es eine unabhängige Beratung gibt. Zu 100% nicht nur zu 90%!



    Ist dem Staat das zu teuer, soll er endlich mal drauf vertrauen, dass Frauen mündige Wesen sind, die das Für und wider auch mit einem Mediziner besprechen können.

  • Also ich würde ganz spontan ein "refurbished" Laptop für die Beratungsstelle in Mühlhausen spenden.