Schwächephase weggezittert

■ Die HSV-Frauen nutzen ihre Underdog-Rolle um ins DFB-Pokal-Halbfinale einzuziehen

In den letzten Minuten wird es wieder unruhig auf der Bank. Ein Kopfball der favorisierten Mannschaft aus Brauweiler zischt knapp über die Querlatte des HSV-Gehäuses, die Reserve-Spielerinnen zu-cken zusammen. Erleichterung über die vergebene Chance des FFC Brauweiler entlädt sich bei den Zuschauern im Wolfgang-Meyer-Stadion in einem Raunen. Zu oft hatte der HSV seine Fans in den letzten zehn Minuten noch enttäuscht.

Fast alle Gegentore erhielt HSV-Keeperin Claudia von Lanken in den letzten Minuten. Noch nie ging ihr Team mit einem Punkt vom Platz und steht mit 2:14 Toren am Ende der Tabelle. Das ist der triste Liga-Alltag. Zwar ist der Gegner aus Brauweiler Ligakonkurrent und mit seinem Saisonziel unter die ersten drei der Tabelle vorzudringen, klarer Favorit, aber jetzt ist ja Pokal und nicht die Bundesliga. Das junge Team (Durchschnittsalter 23 Jahre) mit zwölf Nationalspielerinnen und mehr als einem Dutzend Titel aus der Nähe von Köln sollte sich noch wundern. Der erste Sieg musste doch einfach mal kommen, notfalls mit Hilfe der Nase. „Mach ihn mit der Nase rein“, riefen die Reservespielerinnen des HSV der eingewechselten Tanja Brüske flehend zu. Sie sollte die hauchdünne 1:0-Führung mit einem zweiten Tor sichern. Sekunden vor Schluss sitzt niemand mehr auf der Bank, die Frauen bilden eine Kette, machen sich Mut und stemmen sich gegen den Fluch der letzten Minuten. Brauweiler stürmt. Doch der Ball landet diesmal nicht mehr im Netz des HSV.

„Das haben wir nicht erwartet“, freut sich HSV-Trainer Andrew Pfennig und blickt seinem Team nach, das jubelnd auf das Spielfeld stürmt. „Eine Sensation“ sei das, obwohl „wir wussten, daß wir gut sind“. So gut, den mehrfachen Pokalsieger (1991, 94 und 97) FFC Brauweiler mit dem Saisonziel „Pokalfinale“ aus dem Wettbewerb zu schießen. Denn das Finale wird vor 70 000 Zuschauern im ausverkauften Olympiastadion in Berlin gespielt.

Vor 200 Zuschauern an der Hagenbeckstraße sah es anfangs nicht nach einem glücklichen Ende für die Rot-Weißen aus. Die Brauweiler Abwehrreihe konnte häufig bis an die Mittellinie vorrücken, weil das Team die Hamburger Defensivreihe mit sehenswerten Kombinationen unter Druck setzte und zu zahlreichen Torchancen kam. Petra Unterbrink, Nicole Brandebusemeyer und Navina Omilade scheiterten nacheinander aus guten Positionen an der erneut herausragenden HSV-Torfrau Claudia von Lanken, setzten den Ball ans Außennetz oder verzogen knapp.

Die Hamburgerinnen brachten den Ball nur selten über die Mittellinie und Nationalkeeperin Silke Rottenberg hatte im Tor des FFC Brauweiler eine geruhsame und bewegungsarme erste Halbzeit. An ihr lag es auch nicht, daß in der 70. Minute Tanja Vreden einen Befreiungsschlag vor die Füße bekam, an zwei Spielerinnen vorbeikurvte und den Ball unhaltbar in das FFC-Tor schoss. „ Lieber hätte ich drei Punkte in der Liga gehabt“ sagt die 24jährige Angreiferin nach dem Spiel. Dennoch konnte sie ihre Freude nicht verbergen. HSV-Trainer Andrew Pfennig hofft, daß der Sieg „ein Riesen-Selbstbewusstsein“ für die kommenden Aufgaben in der Bundesliga gibt. Ein Riesen-Felsen sei jedenfalls von ihm abgefallen, gibt Pfennig zu; sein Kollege Jürgen Tritschoks wirkt dagegen, als habe er diesen abbekommen. Er schleicht um den Platz, blickt auf den Boden und wirkt fassungslos. Silke Rottenberg spürt ebenfalls „einen Schlag ins Genick“ während die HSV-Frauen singen: „Berlin, Berlin, wir fahren nach ...“ Markus Flohr/Oke Göttlich