Christoph Raffelt Mundwerk: Schwabenmilch mit gefährlich viel Trinkfluss
Das Ländle im Südwesten ist mit rund 12.000 Hektar Rebfläche einer der wichtigsten Weinerzeuger Deutschlands. Was die Reputation angeht, so hat Baden kaum Nachholbedarf, Württemberg allerdings hinkt den meisten anderen Regionen deutlich hinterher. Das könnte daran liegen, dass in keinem anderen Anbaugebiet die Genossenschaften so stark vertreten sind wie in der Region rund um Stuttgart und Heilbronn.
Genossenschaften in Deutschland tun sich bis heute schwer damit, Weine zu erzeugen, die begeistern und im positiven Sinne modern sind. In Württemberg, so scheint es, macht man einfach immer weiter so wie immer und vinifiziert, was schon immer gerne getrunken wurde. Das ist vor allem der Trollinger, in der Region auch gerne Schwabenmilch genannt. Es ist Trollinger, der mit hohen Erträgen geerntet, mit Maischeerhitzung weich und rund gekocht sowie mit Aromahefen und Enzymen auf Geschmack getrimmt wird und der über eine gewisse Restsüße verfügt, weil man das schon immer so gewollt hat. Es gibt übrigens eine andere Region, in der die Art und Weise, mit dieser Rebsorte so lieblos umzugehen, ebenfalls lange die Regel war: Südtirol.
Diese Alpenregion hatte früher etwa den gleichen Ruf wie Württemberg heute: Auch dort herrschen die Genossenschaften vor, und sie haben ebenfalls jede Menge Trollinger – der hieß bei uns früher Tirolinger –, auch wenn er in Südtirol Vernatsch heißt. Früher hat man ihn in einer ähnlich süßen und erhitzten Variante in Massen vinifiziert. Heute ist das anders.
Heute gehören die Genossenschaften Südtirols zu den Zugpferden des dortigen Weinbaus, und der Vernatsch ist wieder das, was er sein soll: ein Wein, den man leicht gekühlt im Sommer trinkt und der hervorragend zu jeder Art von Jause passt. Frisches Brot, Butter und leicht geräucherter Schinken, ein Glas Trollinger oder Vernatsch, und man hat das Glück im Döschen.
Weil Tobias und Björn Heinrich von dem Heilbronner Weingut GA Heinrich genau einen solchen Wein trinken wollten, haben sie ihn nun einfach mal selbst gemacht. Der TNT – die Abkürzung steht nicht für das explosive Gemisch, sondern für Trollinger Non Traditionel – ist in der Tradition der französischen Bistro-Weine vinifiziert: ohne jeden Schnickschnack mit spontaner Vergärung, Ausbau in großen Holzfässern und lediglich einer geringen Menge Schwefel bei der Füllung. So bekommt man einen Wein ins Glas, der gefährlich viel Trinkfluss liefert. Der TNT ist der Rotwein für den Sommer. Mit 11 Prozent Alkohol ist er leicht wie ein Kabinett und übertrumpft geschmacklich die meisten üblichen Roséweine um Längen.
Wer die kräftigere Tiroler Stilistik kennenlernen möchte, dem sei der Pagis Vernatsch empfohlen, aus den Kellern einer der besten Adressen Südtirols, der Winzergenossenschaft St. Michael Eppan.
Den 2017er TNT gibt es direkt ab Hof, den Pagis im auf Italien spezialisierten Versandhandel
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