Schulstart in Berlin: Viele Lehrer lernen noch
Fast die Hälfte der neu eingestellten Lehrer in Berlin hat diesen Beruf nicht studiert. Gewerkschaft befürchtet Verlust an Unterrichtsqualität.
Ohne Quereinsteiger geht es nicht mehr: Zwei Fünftel der neu eingestellten Lehrkräfte in diesem Jahr unterrichtet zunächst, ohne einen entsprechenden Berufsabschluss dafür zu haben, wie Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Donnerstag auf der alljährlichen Pressekonferenz zum Schulstart am kommenden Montag mitteilte. 1.247 der insgesamt 3.000 neuen Lehrer werden also parallel zu 19 Stunden Unterricht im Klassenraum noch mit den Referendaren von den Unis in den sogenannten Vorbereitungsseminaren fürs Staatsexamen lernen. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren machten die Quereinsteiger noch lediglich etwa 20 Prozent der Neueinstellungen aus.
Die Lehrergewerkschaft GEW und der Berliner Gesamtpersonalrat der Lehrer kritisierten, Scheeres habe es versäumt, rechtzeitig die Studienplatzkapazitäten für den eigenen Lehrernachwuchs in Berlin zu erhöhen – insbesondere angesichts der beständig steigenden Schülerzahlen: Auch für das kommende Schuljahr rechnet die Bildungsverwaltung wieder mit einem Plus von 6.700 Schülern.
Tatsächlich wurden erst 2016 die Hochschulverträge mit den Unis geändert und mehr Studienplätze für das Grundschullehramt geschaffen, wo der Anteil der Quereinsteiger besonders hoch ist.
Doch bis die neuen Absolventen im System ankommen, dauert es. GEW-Berlin-Vorsitzende Doreen Siebernik befürchtet deshalb einen „langfristig deutlichen Verlust an Unterrichtsqualität“ in den Berliner Schulen. „Sicher können Quereinsteiger auch eine Bereicherung für die Schulen sein – allerdings nicht in diesem Umfang.“ Schließlich bedeute ein Diplom in Mathematik noch lange nicht, dass man auch didaktisch so fit sei, Grundschülern das Einmaleins beizubringen.
Erstklässler: Erstmals seit mehr als fünf Jahren stagnieren die Zahlen wieder: 31.880 Schulanfänger werden am kommenden Samstag eingeschult – 46 weniger als im Vorjahr. Insgesamt hat Berlin im kommenden Schuljahr 2017/18 441.330 Schüler. Die Zahl der Lehrkräfte erhöht sich um rund 500 auf 33.383 Pädagogen.
Inklusion: Ab dem kommenden Schuljahr gibt in den Klassen 1 bis 3 eine „verlässliche Grundausstattung“ für die Förderbedarfe Lernen, Emotional-soziale Entwicklung und Sprache (LES). Die Pauschale richtet sich unter anderem nach der Schülerzahl und der durchschnittlichen Anzahl der Förderschüler an der jeweiligen Schule in den letzten Jahren. Zuvor gab es nur Extraressourcen für diese Förderbereiche, wenn die Schulen sie für jeden Schüler einzeln beantragt haben.
Schülerticket: Die Berliner Grünenfraktion forderte unterdessen auf einer Klausurtagung am Donnerstag ein kostenloses Schülerticket für den Nahverkehr, um Familien zu entlasten. Der vom Koalitionspartner SPD im Frühjahr vorgeschlagenen Lernmittelfreiheit – also kostenlose Schulbücher – erteilten die Grünen hingegen eine Absage. (akl)
In den Grundschulen ist der Anteil der Quereinsteiger am höchsten: 53 Prozent der 974 neu eingestellten Grundschullehrer sind zunächst selbst noch Auszubildende in ihrem Job. Insgesamt sind damit sechs Prozent aller Grundschullehrer Quereinsteiger – Tendenz steigend.
Scheeres hingegen betonte, dass es auch in diesem Jahr in Berlin gelungen sei, alle Lehrerstellen zu besetzen – Nordrhein-Westfalen hingegen suche zum Schulstart noch immer 2.100 LehrerInnen. Auch in Brandenburg teilte das Schulministerium am Donnerstag mit, noch 46 offene Stellen zu haben.
Tatsächlich ist der Kampf um qualifizierte Lehrkräfte in den letzten Jahren bundesweit härter geworden. Bis vor einigen Jahren profitierte Berlin noch davon, dass etwa in Bayern viele Absolventen auf Arbeitssuche waren, doch das hat sich inzwischen geändert. Dennoch kommen, auch dank massiver Auswärts-Werbekampagnen der Senatsverwaltung, noch etwa ein Drittel der Neueinstellungen aus anderen Bundesländern nach Berlin.
Ein anderes Lockmittel ist die Bezahlung bei den Grundschullehrern: Seit dem vergangenen Jahr zahlt Berlin Berufsanfängern, die hier studiert haben, 5.100 Euro brutto – so viel wie auch die Studienräte an weiterführenden Schulen verdienen. Kein anderes Bundesland zahlt so gut. Nun prüfe man, wie man auch Absolventen aus anderen Bundesländern in diese Tarifgruppe einstufen könne, sagte Scheeres.
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