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Schulreform (I)Wo ein Wille, da ein Weg

Migranten fordern, über Primarschule mit abstimmen zu dürfen. Erziehungswissenschaftler werben für Reform.

Nur symbolisch: Migranten stimmen für die Schulreform. Bild: Miguel Ferraz

"Meldet euch doch mal bitte, wie viele wählen am 18. Juli?" Es ist Sonntag Nachmittag, und Bedo, ansonsten Moderator der "Oriental Night" auf Hamburg 1, steht auf einer Bühne im Altonaer August Lüttgens Park. Nur wenige Finger gehen hoch. "Cool, drei Leute", scherzt Bedo.

Nein, ein paar mehr sind es schon. Und viele würden per Brief abstimmen, sagt ein Sprecher der Türkischen Gemeinde. Aber 206.000 Hamburger ohne deutschen Pass dürfen nicht mitmachen - das trifft etwa ein Viertel der Eltern, die heute ein Kind im Vorschulalter haben. Und so waren es migrantische Organisationen, die zu dem Fest "Ja zur Schulreform" in den Park luden.

Tags zuvor bereits hatte die Interkulturelle Elterninitiative auf dem Rathausmarkt eine "symbolische Abstimmung" abgehalten, deren Ergebnis erst am heutigen Montag bekannt gegeben wird. "Wir wollen an Abstimmungen beteiligt werden, von denen wir betroffen sind", sagte da Mülayim Hüseyin, Vater eines zwei- und eines fünfjährigen Kindes. "Ansonsten haben wir hier eine Apartheidssituation." Von Migranten werde gefordert, dass sie Deutsch lernen, dies sei die Schulsprache, erzählte er, "aber von wem sollen unsere Kinder besser Deutsch lernen, wenn sie von den besser Deutsch sprechenden Kindern so früh getrennt werden?" An Sonderschulen wiederum hätten sieben von zehn Kindern Migrationshintergrund. "Die sind nicht körperlich oder geistig behindert", so Hüsyin, "die haben einzig Defizite in der deutschen Sprache".

Die Elterninitiative hat den Parteien geschrieben, dass sie hier eines Gesetzesänderung will und mit SPD, Grünen und der Linken Gespräche geführt. Die Europäische Union verlangt, dass Migranten bei kommunalen Abstimmungen beteiligt werden. Dies, fordert die Initiative, müsse auf Landesebene ausgeweitet werden. Hüseyin: "Wenn es einen politischen Willen gibt, kann es einen Weg dafür geben."

Ein "großes Problem" hat auch der Altonaer CDU-Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg damit, "dass so viele Eltern, deren Kinder in Hamburg zur Schule gehen, über diese Reform nicht mit abstimmen dürfen". Kurzfristig sei das aber nicht zu ändern. Umso mehr müssten sich diejenigen, die Kreuzchen machen dürfen, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein.

Unterstützung erhielt das längere gemeinsame Lernen am Sonntag durch zehn Professoren der Hamburger Bundeswehr-Universität. Sie erklärten, frühe Selektion wirke sich "für viele Kinder zum Nachteil aus". Zudem warben 40 Erziehungsberater und Kindertherapeuten für die Reform. Die frühe Entscheidung über den Bildungsweg überfordere Eltern und Kinder und führe zu seelischen Belastungen, heißt es in dem Text, den auch Jan-Uwe Rogge, Autor des Klassikers "Kinder brauchen Grenzen", unterzeichnete. "Je länger Kinder gemeinsam lernen, desto besser ist es", sagt Rogge. Er könne die Aufgeregtheit um die Primarschule "nur begrenzt verstehen".

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8 Kommentare

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  • S
    Spökenkieker

    Wenn schon, denn schon: Dann lassen wir bitte NUR die Eltern abstimmen und nicht die kinderlosen "Prominenten", die zurzeit für die Primarschule werben.

    Ach nee, das geht ja nicht: Laut Umfragen ist die Mehrheit der Eltern nämlich gegen die Primarschule. Schade auch, was machen wir denn da bloss?

     

    Und lassen sie doch mal den Euphemismus "Migranten" ruhen; Meine Kollegin kommt aus Vietnam und fühlt sich inzwischen mit diesem Ausdruck diskriminiert.

    Aber bei ihr in der Familie sprechen inzwischen auch alle Kinder perfekt Deutsch, und ds VOR Schuleintritt. Wie kommt das bloss?

  • KB
    Karin Bryant

    Dass es Kinder gibt die in D geboren sind und bei der Einschulung kein Deutsch sprechen ist einfach 'kriminell' . Dass die Eltern dieser Kinder,die es versaeumt haben ihren Kindern die noetige Sprachfertigkeit zu vermitteln dann auf mehr Foerderung pochen ist unverschaemt.Sie haben selber die Verantwortung fuer ihre Kinder und sollten dafuer sorgen dass diese Kinder genug Deutsch sprechen koennen um bei der Einschulung keine Probleme mit der Sprache haben.Aber offenbar fuehlen sich Migranten dafuer nicht zustaendig.

  • K
    Klap

    Der Artikel und die zu Wort gekommenen Personen zeigen doch klar auf, daß die Primarschule nicht der Ort ist an dem Bildungsgerechtigkeit erreicht wird. In der 5te Klasse sollte ein Bildungskozept nicht darauf aufsetzen, daß Deutsch sprechende Kinder den schlecht sprechenden Kindern die Sprache beibringen.

     

    Wer dies fordert liefert den eher "dumpf" argumentierenden Kritikern schönes Futter und zeigt, daß die Primarschule stärkere Kinder doch bremsen kann.

     

    Außerdem ist es leider in Billstedt oder Wilhelmsburg so, daß man von den "deutschen" ohnehin meist nicht so viel lernen kann.

     

     

    Richtig ist auch, daß an Sonderschulen insbesondere Kinder aus Bildungsfernen Familien unterrichtet werden, deren "Behinderung" lediglich im Sozialverhalten und/ oder in mangelhaften Kenntnissen der deutschen Sprache begründet liegt.

     

    Ja wir alle wollen mehr Chancengerechtigkeit.

    Kita umsonst

    Sprachförderung

    Integration von Müttern und Vätern von Migranten und Bildungsfernen in den Bildungsprozeß in Kita und Schule

     

    So geht man dieses Problem richtig an.

     

    In Summe ein Artikel gegen die Primarschule.

  • M
    Migrant

    Anstatt herumzumaekeln sollten die Migranten die Chancen hier in Deutschland nutzen:

     

    1.Kostenloser Unterricht fuer alle Kinder - ist in ihren Heimatlaendern nicht selsbtverstaendlich...

     

    2.Moeglichkeit fuer jeden, ein Abitur nicht nur an Gymnasien zu machen, sondern seit Jahren auch in der Langform der Gesamtschule - und kuenftig an den Stadtteilschulen. Das geht in den Heimatlaendern vieler Migranten nicht.

     

    3.Schulpflicht auch fuer Maedchen - in vielen Heimatlaendern koennen Eltern ihren Toechtern die Schulbildung verweigern.

     

    4.Der Staat bezahlt die Grundsicherung, auch wenn die Eltern erwerbslos sind: ein Dach ueber dem Kopf, Schuhe, ein wohlgefuellter Magen und gebuehrenbefreite Schulmittel werden in dieser Form in vielen Heimatlaendern nicht gewaehrleistet.

     

    Allerdings:

    sich auf den Hintern zu setzen und zu lernen - das kann man den Migrantenkindern nicht abnehmen.

     

    Und:

    Sich um die Schulbildung ihrer Kinder zu kuemmern, schaffen viele Migrantengruppen - etwa Vietnamesen oder Osteuropaeer - aber andererseits viele Tuerken nicht.

     

    Insofern ist diese Demo hier eine sinnlose Alibi-Veranstaltung, um die Schuld fuer das eigene Versagen auf andere abzuwaelzen.

  • EM
    Eimsbüttler Mutter

    Wenn ein Kind bis zur 4. Klasse immer noch nicht richtig deutsch sprechen kann, ist dies ein Armutszeugnis für das Elternhaus (und die Grundschule). In der zweiten Klasse meiner Tochter sind ca 30 % Ausländer und alle können jetzt deutsch sprechen, lesen und schreiben. Auch ein Kind, welches erst unmittelbar vor Schulbeginn aus Kolumbien gekommen ist. Die Migranten sollten ihre Kinder in die Kindergärten und Vorschulen schicken, dann gibt es auch keine Sprachprobleme

  • KK
    Kerstin Kleenworth

    Natürlich wäre es schön, wenn die Migranten alle mit abstimmen dürften. Aber mal ehrlich: in welchem Land ist das erlaubt???

    Bei den Gesprächen mit Menschen in der Stadt, sind es vielfach die Menschen mit Migrantenhintergrund, die sich GEGEN die Reform aussprechen. Was "von oben" gemacht wird ist ein dummer und absurder Klassenkampf. Es geht denen aus dem Senat nicht um die Verbesserung Chancen für ALLE Kinder. Denn dann hätten sie von ANFANG an die Frühförderung verbessert. Um allen Kindern einen ungefähren gleichen Start zu ermöglichen. Schade, dass der Hamburger Senat und auch viele Medien das Monster "Klassenkampf" füttern und ihnen die Meinung der Bürger egal ist.

  • L
    Leidkultur

    Die Leute stimmen sowieso mit den Füßen ab. Da können die in Hamburg / Deutschland reformieren, was sie wollen. Wer lässt sein Kind schon Hilfslehrer spielen?

     

    Außerdem frage ich mich, wieso die mit Schuleintritt noch kein Deutsch können. In den Klassen meiner Kinder (Gym.) sind so viele Ausländer (schätze mal so 60%), viele erst im Schulpflichtalter gekommen und die sprechen alle deutsch.

  • H
    HamburgerX

    Sorry, aber was soll der Quatsch? Sehr wohl können auch Migranten abstimmen, nämlich dann, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Diese wiederum kann man auch als Ausländer erwerben, wenn man bestimmte, zumutbare Integrationsleistungen nachweist.

     

    Daher ist es richtig, dass alle die, die diese Leistungen nicht erbringen, auch nicht wählen können. Oder soll demnächst jeder, die einen Grenzübertritt nach Deutschland schafft, die Politik beeinflussen können, selbst wenn er sich gar nicht mit Land und Leuten identifiziert? Das wäre doch fatal und gesellschaftspolitisch völlig destruktiv.