Schulkameradentreffen fällt aus: Keine Weihnachtsangebertour
Ganz persönlich lief es bei mir 2020 ziemlich rund. Doch damit prahlen beim Kneipenwiedersehen mit den Schulkameraden ist nicht drin.
Erinnert ihr euch noch früher, als man Weihnachten nach Hause fuhr und am zweiten oder dritten Weihnachtstag in einer schrammeligen Kneipe alte Schulkameraden traf, um sich gegenseitig zu erzählen, wer nun den cooleren Job, die beste Beziehung und insgesamt das geilere Leben hat?
Meine Eltern leben seit einiger Zeit nicht mehr in dem Ort, in dem meine Schwestern und ich aufgewachsen sind, und letztes Jahr Weihnachten war das erste Weihnachtsfest im neuen Haus. Ich hätte zwar in meine alte Hood fahren können, entschied mich dagegen, weil ich mir die 30 Kilometer mit dem Auto nicht geben wollte. Außerdem dachte ich: Ach, 2020 wird ein gutes Jahr und dann fahre ich Dezember 2020 zu diesem Kneipenwiedersehen mit tausend Erfolgsstorys aus meinem Leben in Berlin im Gepäck. Was soll ich sagen? Es kam alles ein bisschen anders.
Versteht mich nicht falsch. 2020 war kein gutes Jahr. Aber wenn es nur um mich ganz persönlich geht. Also wenn es wirklich nur um mich geht. Nur Anna Dushime. Kommt mal näher, ich trau mich nicht, das laut auszusprechen. Wenn ich es nur auf mich beziehe: So schlimm war 2020 nicht.
Ich habe diese Kolumne weiterführen dürfen, kann in unzähligen Podcasts Quatsch erzählen, tolle Menschen treffen und Neues lernen. Die „Browser Ballett“-Satireshow, an der ich als Redaktionsleiterin arbeite, kommt am 3. Dezember erstmalig ins Erste. Das heißt, meine Eltern verstehen nun, was ich beruflich mache, und können wiederum bei ihren Freunden damit angeben.
Meine erfolgreiche Single-Lady-Story
Sicher, mein Liebesleben ist absoluter Schrott, aber das hätte ich noch als erfolgreiche unabhängige Single-Lady-Story spinnen können. Und jetzt kommt Angelo Mertens und sagt mir, dass ich Weihnachten schon heimfahren kann, aber meine Kneipen-Angeber-Tour 2020 kann ich vergessen.
Ja, ich stellte sie mir nämlich so vor wie ein intimes Konzert vor einem kleinen Publikum. Florian, mein erster Freund (und seine Mutter), Markus, der mich bei „Wahl, Wahrheit oder Pflicht“ nicht küssen wollte, meine ehemalige beste Freundin, die jetzt zwei Kinder hat und ein Haus gekauft hat, vielleicht ein, zwei Lehrer, die mir immer früher zu verstehen gegeben haben, dass ich nicht aufs Gymnasium gehöre. „Ach, Anna, unglaublich, was du alles machst. Erzähl doch mal mehr davon“, ist eine der häufigen Fragen, die ich ausführlich und ausschweifend beantworte.
Wegen Miss Corona kann ich das also alles knicken. Ich muss meine Weihnachtsangebertour also absagen, oder verschieben. Aber auf wann? An Ostern kriegt man keine Kneipe voll, und wer weiß, ob wir Ostern 2021 überhaupt reisen dürfen. Hätte ich das gewusst, wäre ich 2019 zu meinem letzten Kneipenwiedersehen gegangen. Also carpe diem, denk ich mir und werde ab jetzt nie wieder irgendwas auf nächstes Jahr verschieben.
Leser*innenkommentare
Bunte Kuh
Und so hat alles auch seine guten Seiten. Mal kein "Mein Haus. Meine Yacht. Mein Puff"
Trotz der ganzen Schei*e.
05838 (Profil gelöscht)
Gast
Also, bei uns gab es nur einen Angeber. Einzelkind. Dass Papa Ingenieur ist, damit gab er immer an, weil die meisten Eltern "nur" Handwerker oder Bauern waren.
Und beim ersten großen Klassentreffen erzähle er ausschweifend, dass er irgendein hohes Tier bei einer bekannten amerikanischen Investmentgesellschaft ist.
Er wurde schon als Schulkind auf dem Weg von der Schule nach Hause mindestens einmal pro Woche von den anderen Jungs verprügelt.
Zeitweise machte ich seinen Freund, damit er wenigstens einen hatte.
Nein. Bei uns gab nur er mit Haus, Yacht und Ponyfarm an.
Beim Rest war es egal, ob jemand Manager bei Siemens
oder Putzhilfe geworden ist. Die Leute freuten sich, ihre
Schulfreunde ab und zu wieder zu sehen.