Kommentar: Schröders Mangel, Lafontaines Dilemma
■ SPD-Linke fordern programmatische Identität
Die Debatte in der SPD um den Kanzlerkandidaten ist voll entbrannt, doch keiner führt sie. Zwischen der Ruhe, die sich die Partei bis zum 16. März verordnet hat, und dem erwartungsvollen Brodeln in den Hinterzimmern der Kreisversammlungen und Fraktionen knistert nervöse Spannung. Sie blitzt bisweilen in dahingeworfenen und flugs dementierten Äußerungen auf, oder sie entlädt sich in Grundsatzpapieren, die, quasi als Nebeneffekt, Einfluß auf eine Entscheidung nehmen wollen, die doch den beiden Kandidaten vorbehalten bleiben soll.
Sieben Bundestagsabgeordnete haben ein Thesenpapier zum Wahlkampf formuliert. Obwohl sie ihn mit keinem Wort erwähnen, können die Papiere getrost als eine Absage an den Kandidaten Schröder interpretiert werden. Die sieben wenden sich gegen einen personalisierten Wahlkampf und die Anpassung an Stimmungen. Die Umfrageergebnisse eines konservativen Sozialdemokraten seien noch lange keine Stimme für die SPD. Programmatische Identität sei gefragt.
Nun hat gegen die ersten beiden Argumente Schröder bereits sein Wahlergebnis verwettet. Gewinnt er in Niedersachsen, wäre erwiesen, daß mit einem Personenwahlkampf Einbrüche in der Mitte der Wählerschaft erreichbar sind. Diesen Nachweis mit konservativen Akzenten zu führen, war übrigens Lafontaine schon vor Jahren angetreten. Daß er sich nun links geriert, ist sein entscheidendes Handicap.
Die aktuelle Wählergunst alleine muß noch kein entscheidendes Kriterium der Kandidatenfrage sein. Die Fähigkeit, die Partei zu motivieren, ist gleichfalls wichtig. Und zweifellos verkörpert Lafontaine die programmatische Identität der SPD in weit höherem Maße als sein Konkurrent. Doch ist dies die Identität eines in den siebziger und achtziger Jahren gewachsenen Funktionärskörpers, dem mittlerweile ein sehr heterogenes sozialdemokratisches Milieu gegenübersteht. Auch ein Kandidat Lafontaine müßte auf dieses Dilemma eine Antwort finden. Entweder, indem er den Wahlkampf radikalisiert, um die Kernwähler zu mobilisieren. Auf einen solchen Lagerwahlkampf wäre die Union eingerichtet. Oder, indem er sich stärker in der Mitte positioniert. Eine Strategie, für die ihm um den Preis der Glaubwürdigkeit kaum noch Zeit und Gelegenheit bleibt. Ganz abgesehen davon, daß dann die sieben Abgeordneten mit ihren Thesen auf ihn zielen könnten. Dieter Rulff
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