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Schröder steigt auf den Ausstieg um

■  Bundesregierung bereitet für den Fall des Scheiterns der Konsensgespräche Gesetz zum Ausstieg aus der Atomkraft vor. AKW-Betreiber drohen mit Klage. 10.000 Menschen demonstrieren in Berlin für Ausstieg

Berlin (taz) – Die Bundesregierung macht beim Atomausstieg Druck auf die Industrie. Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) warnte die Stromkonzerne am Wochenende, wenn es keine Einigung gebe, werde die Regierung notfalls ein Ausstiegsgesetz verabschieden. Die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Michaele Hustedt, begrüßte die Äußerungen Müllers. Im Gespräch mit der taz sprach sie von einem „großen Fortschritt“ und zeigte sich optimistisch, dass sich SPD und Grüne bald über einen Gesetzestext einigen werden.

Die Betreiber der Atomkraftwerke reagierten auf ihre Weise: Sie drohten erneut mit einer Verfassungsklage. In Berlin demonstrierten am Samstag rund 10.000 Atomkraftgegner für ein sofortiges Abschalten aller 19 Reaktoren in Deutschland.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ist inzwischen offenbar auf die Grünen zugegangen und hat seine grundsätzliche Bereitschaft zu einem Atomausstieg ohne Konsens mit den Konzernen signalisiert. Welche Laufzeiten für die Kraftwerke in dem möglichen Gesetz festgelegt werden, steht noch nicht fest. Außenminister Joschka Fischer soll 28 Jahre pro AKW vorgeschlagen haben. Die ursprüngliche Forderung der Grünen lag bei 25 Jahren. Grünen-Energiepolitikerin Hustedt wollte über Zahlen nicht spekulieren, ist sich aber sicher: „Die Laufzeiten werden deutlich unter den 35 Jahren sein, die die Industrie will.“ Entscheidend sei aber, dass die Regierung deutlich mache: „Wenn der Konsens nicht klappt, kommt der Ausstieg im Dissens.“ Nur unter dieser Voraussetzung seien Verhandlungen noch sinnvoll.

Wirtschaftsminister Müller sagte, er sehe immer noch „eine Wahrscheinlichkeit von erheblich über 50 Prozent“, dass ein Konsens mit den Stromkonzernen erzielt werde. Für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen berät eine Runde von Staatssekretären der Ministerien für Umwelt, Wirtschaft und Justiz jedoch bereits über das Ausstiegsgesetz. Die Spitzen der Regierung und der Koalition waren sich bei einem Gespräch am vergangenen Donnerstag einig darüber, dass die Staatssekretäre ihre Arbeit jetzt möglichst schnell beenden sollen. Der Text soll so formuliert werden, dass er einer möglichen Verfassungsklage standhalten würde. Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) liegt eine neue Version eines Rechtsgutachtens vor, das der Industrie relativ geringe Klagechancen gegen das Abschalten der AKWs nach 25 Jahren einräumt. Laut Spiegel soll ein Eckpunktepapier noch im November in der Koalition abgesegnet werden. Unmittelbar nach der Vorstellung des Papiers will die Regierung die Vorstandschefs der führenden Atomkraftwerksbetreiber zu einer neuen Konsensrunde ins Kanzleramt einladen. Das Ausstiegsgesetz soll vom Bundestag verabschiedet werden, falls bis zum Jahresende keine Einigung mit der Industrie erzielt wird.

Würde sich die Koalition auf einen Ausstieg nach 30 Jahren pro AKW einigen, müssten vor Ende der Legislaturperiode 2002 zwei Kraftwerke vom Netz gehen: Obrigheim und Stade.

Mehrere tausend Atomkraftgegner machten am Samstag in der Berliner Innenstadt ihrem Unmut über den bisherigen Stillstand bei den Atomverhandlungen Luft. Zu dem Protest hatten Bürgerinitiativen und Umweltverbände aufgerufen. Zu der „Stunk-Parade“ rollten rund hundert Traktoren aus der Region des niedersächsischen Zwischenlagers Gorleben durch das Stadtzentrum. Lukas Wallraff

Interview Seite 8, Kommentar Seite 10, Reportage Seite 11

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