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Schriftstellerin Jenny ErpenbeckAkute Ostalgie

Die ostdeutsche Schriftstellerin Jenny Erpenbeck zeichnet beim Festival „Literatur Jetzt!“ in Dresden die eigene Familiengeschichte und die DDR weich.

Schriftstellerin Jenny Erpenbeck und Moderatorin Maike Albath am Mittwochabend in Dresden auf dem Podium Foto: André Wirsig

Über anderthalb Jahre ist es her, dass Jenny Erpenbeck den Booker Prize, einen der wichtigsten Literaturpreise außerhalb Deutschlands, für ihren Roman „Kairos“ erhalten hat. Doch Langeweile kommt bei der Schriftstellerin nicht auf, ganz im Gegenteil. Gerade kommt sie aus Chemnitz, wo sie an einem Libretto für die Uraufführung einer Oper nach dem Roman „Rummelplatz“ von Werner Bräuning arbeitet. Parallel dazu wird ihr dritter Roman, „Heimsuchung“, von Völker Schlöndorff mit Lars Eidinger und Ulrich Matthes verfilmt.

Beim Festival Literatur Jetzt! in Dresden schätzt man sich umso glücklicher, so betonen es sowohl die Veranstalterinnen als auch die Moderatorin, dass sich die viel beschäftigte Schriftstellerin für die Eröffnung des Festivals die Zeit genommen hat. Unter dem Titel „Eine Familie, die DDR und die Literatur“ will Erpenbeck ein wenig über ihren letzten Roman „Kairos“, aber auch von ihrer Familiengeschichte erzählen.

Schließlich ist Erpenbecks Familie keine Unbekannte. Ihre kommunistischen Großeltern, die Autorin Hedda Zinner und der Autor Fritz Erpenbeck, emigrierten 1935 in die stalinistische Sowjetunion, wo 1942 ihr Vater, der Physiker und Philosoph John Erpenbeck zur Welt kam. 1945 kehrte die Familie zurück nach Ostberlin, um das kulturelle Leben nach sowjetischer Vorstellung wieder aufzubauen. Erpenbecks Vater heiratete später die Übersetzerin Doris Kilias.

Private Fotos

Für den Abend im Zentralwerk in Dresden hat Erpenbeck ein paar Fotos mitgebracht. Sie zeigen ihre Großmutter als Grande Dame mit kurz gewelltem Haar in stilvollen Kostümen. Auf einem anderen sieht man sie im Zentrum des Bildes, am Schreibtisch in ein Buch vertieft während ihr Mann ihr über der Schulter lehnt. Erpenbeck mag das Bild, weil „das doch eine gute Rollenverteilung ist“.

Eigentlich hätte auch ihr Vater, John Erpenbeck, bei der Familienschau an diesem Abend in Dresden dabei sein sollen. Doch der ist gesundheitlich verhindert, was die Tochter sichtlich bedauert: „Wir sind ein gutes Team.“ Erpenbecks Liebesgeschichte der jüngeren Frau zu dem älteren Mann, die ihr Roman „Kairos“ vor dem Hintergrund der untergehenden DDR erzählt, ist auch eine, die von zahlreichen biografischen Bezügen zu ihrer Familie gespickt ist.

Einer Familie, die Erpenbeck im Gegensatz zur Mehrheit der DDR-Bevölkerung als privilegiert erscheinen lassen: Der Berliner Zeitung erklärte die Autorin, ihr Vater sei mit ihr in viele Ausstellungen gegangen, ihre Mutter organisierte ihr Klavierunterricht. Mit dem neuen Mann der Mutter, der an der DDR-Botschaft in Rom arbeitete, lebte sie für ein Jahr in Italien.

Privileg in der Ostberliner Leipzigerstraße

War ihr als Kind bewusst, dass sie privilegiert ist? „Na ja“, druckst Erpenbeck, „ein bisschen war es mir bewusst.“ Man merkt schnell, so ganz kann sie sich dem Urteil nicht anschließen. Natürlich sei es ein Privileg gewesen, in der Leipziger Straße und nicht in Marzahn aufgewachsen zu sein, „aber die Neubauwürfel waren schon ähnlich.“

Als Erpenbeck fortfährt und anmerkt, dass es keine Privatschulen gab und ihre Klasse quer gemixt war mit Kindern „von intellektuellen Leuten, von Anwaltskindern, Arztkindern bis hin zu ganz normalen Leuten“, bricht das Publikum in mildes Gelächter aus. „Sie lachen?“, fragt Erpenbeck entsetzt, der ihre sprachliche Verunglimpfung zuerst nicht auffällt. Mit normalen Leuten meine sie natürlich „nicht so privilegierte Menschen“.

Erpenbeck, das war auch im letzten Jahr das bestimmende Thema des Feuilletons, scheint mit ihrem Buch im englischsprachigen Ausland deutlich größere Anerkennung zu bekommen als in Deutschland. Im angelsächsischen Raum stehe eben keine Schuldfrage im Raum, würde man sich „gleichermaßen für Ost und West interessieren“, berichtet sie auf der Bühne in Dresden.

Fokus auf der Sprache

Hierzulande hingegen sei das schwieriger, „weil niemand unbeteiligt ist.“ Tatsächlich wurde „Kairos“ in Deutschland zwar nahezu einhellig für seine Sprache gelobt, doch lag der Fokus der Bewertung vor allem auf der Darstellung der DDR und ihres Zerfalls. Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk kritisierte, sie ignoriere, dass die DDR „immer eine unfreiheitliche und antidemokratische Herrschaftsform einer Minderheit über eine Mehrheit meinte“.

Und obwohl Erpenbeck den Vorwurf der „Ostdeutschtümelei“ bis heute von sich weist, erkennt sie an diesem Abend dann doch an, dass die Wahrnehmung und Bewertung derselben Dinge von Menschen völlig unterschiedlich sein kann. Wichtig sei ihr deshalb, „dass man auch mal den Standpunkt wechselt, sich auch mal in andere Leute reindenkt und vielleicht besser versteht, wo die Beweggründe liegen“. An ihrem nächsten Buch scheint sie jedenfalls schon zu arbeiten.

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