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Schriftsteller über Protest in Bulgarien„Demokratie ist nur eine Fassade“

Zachary Karabashliev erklärt, warum die Menschen in Bulgarien auf die Straße gehen und wie die EU mit ihrem ärmsten Mitgliedstaat umgehen sollte.

Ob jung und gut ausgebildet oder Renter: In Bulgarien protestieren ganz unterschiedliche Menschen Foto: Stoyan Nenov/Reuters
Interview von Barbara Oertel

taz: Herr Karabashliev, in Bulgarien gehen dieser Tage Tausende auf die Straße und fordern den Rücktritt der Regierung. Warum?

Zachary Karabashliev: Sie protestieren gegen Ungerechtigkeit, Korruption und Inkompetenz auf höchster Ebene. Sie sind wütend darüber, dass die Demokratie nur eine Fassade ist, die oligarchische Abhängigkeiten verschleiert.

Worin sehen Sie die Ursachen für diese Missstände?

Sie sind das Ergebnis einer unvollendeten Transition. 1989, als mit dem Fall der Berliner Mauer auch der Umbruch in Osteuropa begann, waren wir jung, unerfahren und dumm. Wir dachten, wir könnten das System innerhalb weniger Jahre ändern. Aber das System hat sich selbst geändert. Die damals regierende Kommunistische Partei hat sich in Sozialistische Partei umbenannt und niemals aufgehört zu funktionieren. Die alten Genossen, die immer noch mit der DS (Staatssicherheit) verbunden sind, haben ihre politische Karriere fortgesetzt. Die DS hat damals eine wichtige Rolle gespielt und tut das auch heute noch. Sie greift EU-Gelder ab, richtet sich aber gleichzeitig nach russischen Interessen aus.

Wer beteiligt sich an den Protesten?

Alle möglichen Leute. Viele, meist gut ausgebildete junge Menschen sind dabei, aber auch kleine und mittelständische Unternehmer, Arbeiter, Beamte, Lehrer und viele Rentner. Sie haben diese kleptokratische Regierung satt. Diejenigen, die prowestlich sind, haben das Gefühl, im jetzigen Parlament nicht vertreten zu sein.

Offensichtlich sind auch Radikale unterwegs …

Natürlich gibt es auch Gruppen von Provokateuren. Das sind vor allem Fußballfans, die nach Einbruch der Nacht Stress machen. Es ist unklar, ob sie koordiniert vorgehen und ob jemand dahintersteckt.

Gibt es schon Anführer dieser Bewegung?

Noch ist alles spontan und etwas kopflos. Aber es braucht einen Anführer. Andernfalls wird diese ganze Energie verpuffen.

Was lässt sich über die Opposition sagen?

Die wichtigste Kraft sind leider die Sozialisten, die Erben der Kommunisten. Ihre Wähler werden immer älter, die Altlasten der Partei sind undurchsichtig, ihre politischen Ansichten sind nicht westlich orientiert. Daher ist diese Opposition für uns keine Option.

Bulgarien gilt als korruptestes Land in der EU. Schon bei seiner ersten Wahl zum Regierungschef 2009 hat Bojko Borissow versprochen, gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorzugehen. Warum ist da bisher kaum etwas passiert?

Bild: Dobrin Kashavelov
Im Interview: Zachary Karabashliev

Der 52-Jährige ist Schriftsteller und leitet in Sofia den Verlag Cielo. Von 1997 bis 2014 lebte er mit seiner Familie in den USA.

Borissow ist ein sehr spezielles Lebewesen in der politischen Fauna Europas. Er ist charmant, intuitiv, irgendwie lustig. Er versteht es, sein Gegenüber zu manipulieren und auch noch zu überzeugen. Er vereint all das, was den meisten Eurokraten fehlt: Er hat Köpfchen. Er und Angela Merkel sind offenbar auf unterschiedlichen Planeten geboren und aufgewachsen, leben aber auf demselben Kontinent. Borissow weiß genau, wo er was sagt und wem. Er sagt eine Sache in Europa, eine andere in den USA und wieder etwas völlig anderes in Bulgarien. Er hat enorme Macht. Die ausufernde Korruption in Bulgarien stützt sich zu großen Teilen auf EU-Gelder. Den Zugang stellt die politische Macht sicher, und die liegt in den Händen von Borissow.

Wird Borissow im Zuge der Proteste zurücktreten?

Ihm wird nichts anderes übrig bleiben. Denn es ist klar geworden, dass er die Situation nicht kontrollieren kann. Denn er selbst wird von Oligarchen kontrolliert oder von seiner eigenen Schwäche. Wahrscheinlich von beidem. Wie dem auch sei: Vorgezogene Neuwahlen sind unausweichlich.

Sehen Sie da Chancen für neue politische Kräfte, wie das Bündnis „Demokratisches Bulgarien“?

Diese Kräfte werden ein Faktor sein. Wie bedeutsam, das hängt von ihnen ab. Werden sie die Wähler auf Trab bringen? Werden sie neue, anständige und gebildete Leute finden, die uns im nächsten Parlament vertreten? Und werden sie wirklich den Kampf für Anstand und Gerechtigkeit aufnehmen?

Wie beurteilen Sie den Umgang der EU mit Sofia?

Brüssel hat nicht die Verpflichtung, Bulgarien über einen so langen Zeitraum zu pampern. Die EU könnte jedoch den demokratischen Prozess in Bulgarien unterstützen. Das hieße: Borissow knallharte Fragen stellen und auf Antworten bestehen. Genau das hat die EU jedoch in der Vergangenheit nicht gemacht, als riesige Summen von europäischen Steuerzahlern in die Taschen bulgarischer politischer Betrüger und Oligarchen geflossen sind.

Was sollte Brüssel stattdessen tun?

Sie fragen einen bulgarischen Schriftsteller allen Ernstes, was Brüssel machen soll? Zahlen wir den Experten dort nicht hohe Gehälter, damit die sich darum kümmern? Aber wenn Sie schon so fragen, dann sage ich: Lasst uns mit dem schlichten Grundsatz anfangen: Einfach mal nachgucken, wo das Geld versickert ist. Einfach mal nachgucken …

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