Schriften zu Zeitschriften: Alle müssen sterben
■ „Die Beute“ über „Verbrechen und Politik“
Ist es originell, noch immer über die Sinnesfeindlichkeit der deutschen Linken und über ihr Unvermögen zu klagen, sich einer verständlichen Sprache zu bedienen? Die neue Ausgabe der Beute, der „Zeitschrift für Politik und Verbrechen“, nimmt diesen behaupteten Mangel zum Anlaß, sich ihres Auftrags zu versichern, alles besser, alles neu zu machen.
Vier Jahre ist es her, als die erste Ausgabe der Beute erschien. Ihr unterstützenswerter Vorsatz war es, linksradikal und subkulturell, antiideologisch und klassenkämpferisch zu sein. Vier Jahre lang ging das gut. Doch dann meldete der Buchhandelsvertrieb „Rotation“ Konkurs an. Der Streit in der Redaktion brach auf. Es grenzt schon an ein Wunder, daß nun die neue Ausgabe, ein Neuanlauf der Beute, in den Buchhandlungen ausliegt. Die Redaktion hat eine Arbeitsteilung eingeführt und den Herausgebern Andreas Fanizadeh und Roberto Ohrt die gesamte Konzeption und Realisierung übertragen. Die Zeitschrift soll ab sofort nur noch halbjährlich erscheinen. Sie ist dicker geworden, bunter und hat außerdem einen umfangreicheren Themenschwerpunkt.
„Subversion des Kulturmanagements“ ist der Titel, unter dem Fanizadeh und Ohrt eine Art Programmatik der Kultivierung von Politik verfassen. Fanizadehs Beitrag ist ein Forderungskatalog, der einem Plädoyer gegen den sozialistischen Realismus gleichkommt. Er beschwert sich über die Ignoranz der Linken gegenüber den Mehrdeutigkeiten moderner Märchen in der Kunst und über ihre Vorliebe für den Realismus, von dem sie sich meßbare Wirksamkeit versprach.
Auch Diedrich Diederichsen ist darauf konzentriert, den Vorwurf, er sei „Poplinker“, produktiv zu machen. In einer nicht mehr ganz frisch anmutenden, aber originell geschriebenen Verteidigungsrede für die Poptheorie wettert er gegen Linke, die sich immer noch auf Adorno berufen, wenn sie zu faul sind, ins Kino zu gehen. Ihr Mißtrauen gegenüber einer Vervielfältigungsmaschinerie, die das Kunstwerk zerstöre, sei unnötig, da sowieso nur ein Bruchteil der Menschheit kulturelle Produkte erwerben könne. Wenn alles käuflich werden könne, so Diederichsen, heiße das auch, „daß alles Käufliche ebensogut anders sein kann“ und damit auch wert ist, beobachtet zu werden. Er träumt von einem höheren Aufmerksamkeitsniveau für die ästhetische Seite der Politik, für die auf Verständlichkeit angelegte Demokratie der Popkultur. „Politik ohne Darstellung ist die Darstellung von Politik durch eine durchgesetzte Normalität, die natürlich je mehr Terror und Dominanz entfaltet, desto weniger sie auffällt.“
Der erste Versuch, dieses Programm mit Leben zu füllen, stammt von Roberto Ohrt. Sein Beitrag „Über das Stolpern von Christoph Schlingensief“ problematisiert den Versuch des Medienschätzchens, die Grenzen zwischen Theater und Wirklichkeit zu verschieben. Am Beispiel des Arbeitslosen, der in den Stücken Schlingensiefs meist untätig auf der Bühne sitzt, fragt er sich, ob die in der Realität festgeschriebenen Rollenmodelle je aufgelöst werden können. Publikum bleibt eben Publikum, auch wenn es als spielendes Publikum ins Stück integriert wird.
Der Wunsch Fanizadehs und Diederichsens, die Wissensübermittlung müsse unterhaltsamer werden, geht bei anderen Beiträgen in der Beute wohltuender in Erfüllung. Es sind weniger die Artikel deutscher Autoren, die solches Ansinnen einlösen, die sich nicht hinter ihrer Bildung verschanzen, Phänomene der Alltagskultur genau beobachten und ihre Beobachtungen lustvoll mitzuteilen gewillt sind. Da ist zum Beispiel ein verblüffender und überaus irdischer Essay über die Musik des Hard Country in Amerika von Barbara Ching, über blasse und zu dicke Sänger, die um so mehr Platten verkaufen, je defekter, versagerischer und abgedroschener sie sind. In einem erhellenden Artikel über die Strategien der Unterwanderung weiblicher Rollenmodelle von Janis Joplin und Courtney Love kommt Gayle Wald zu einer verblüffenden These. Janis Joplin habe die „lustvolle, metaphorische und einschlägig sexualiserte Sprache“ schwarzer Künsterlinnen benutzt, um mit dem „bis dato vorherrschenden seidig-samtenen Stil weißer Pop-Sängerinnen“ zu brechen. Damit sei sie aber anders als die ironische Courtney Love auch reaktionären Romantisierungen verfallen und habe zu einer „Verfestigung stereotyper rassistischer Vorstellungen“ beigetragen. Lustige Lektüre ist auch das Gespräch mit den zwei Helden des literarischen Untergrunds im Prenzlauer Berg in Berlin, Bert Papenfuß und Sascha Anderson. Wie es sich für Poptheoretiker gehört, ziehen sie nachts gern und ausgiebig um die Häuser. Daher die Freundschaft der Beute mit dem Goldenen Früchtchen und Golden-Pudel-Club-Betreiber Schorsch Kamerun. Der hat nun eine CD mit seinen Lieblingsbands bepackt, deren Erlös in die Kasse der Zeitschrift fließen wird. Bei einer Benefizparty zur CD mit dem schönen Titel „Ihr werdet alle sterben“ werden die Herausgeber heute abend Rede und Antwort stehen. Susanne Messmer
Heute, 19.30 Uhr Präsentation der „Beute“ im MS Sanssouci, Oberbaumbrücke, Berlin. 22Uhr Konzert der Gruppe Kamerun, 24 Uhr Diskoteka. Dasselbe am 29.5. in Hamburg, Schauspielhaus, Kantine
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen