Schrecken der Diktatur in Libyen: Gaddafi wollte Rache bis ins Jenseits
Seinen Feinden gönnte Gaddafi nicht mal die Totenruhe. In der Leichenhalle des Zentralkrankenhauses von Tripolis verwalten Beamte den Horror von einst.
TRIPOLIS dpa | Es ist kalt im Leichenschauhaus des Zentralkrankenhauses von Tripolis. Die zwei Männer, die in einem kleinen Büro am Eingang Buch führen über die Toten, die gebracht und abgeholt werden, tragen dicke Winterjacken. An einer Wand stehen gekühlte Aufbewahrungskammern aus stumpfem Metall, in denen die Leichen liegen, die noch nicht identifiziert wurden.
Auf einigen der Kammern kleben kleine weiße Zettel, auf die man mit Kugelschreiber notiert hat, wann und wo der Getötete gefunden wurde. Dass ein identifizierter Toter hier länger liegt, kommt praktisch nicht vor. Denn der Islam, die Religion der Libyer, gebietet es, dass jeder Mensch nach seinem Tod möglichst schnell gewaschen und begraben wird.
Links neben den 18 Kammern liegt ein toter Mensch, der nur mit einer Decke bedeckt ist. Neben einer zweiten Bahre steht eine weinende kleine Frau. Sie beugt sich über die Bahre, auf der ihre tote Tochter liegt. Sie ist in ein weißes Laken gehüllt. Nur ihr Gesicht ist zu sehen.
Ihre Mutter und ihr jüngerer Bruder sind gekommen, um sie zu identifizieren und zu beerdigen. Sie starb auf der Straße, getroffen von der Kugel eines Mannes, der mit seinem Gewehr ohne Sinn und Verstand um sich geschossen hatte.
Hinter der schwarzen Eisentür
Die beiden Trauernden wissen nicht, was sich hinter der braun-schwarzen Eisentür verbirgt, die zehn Meter von ihnen entfernt im hinteren Teil des Gebäudes liegt. Hier lagern die Körper von Menschen, denen Libyens rachsüchtiger Gewaltherrscher Muammar al-Gaddafi nicht einmal die Totenruhe gönnte. Die Krankenhausmitarbeiter vermuten, dass es sich um Feinde Gaddafis und deren Angehörige handelt.
Vor dem Sturz Gaddafis, der nach 42 Jahren an der Macht im vergangenen August erst aus Tripolis floh und zwei Monate später in Sirte getötet wurde, wurden auf dem Krankenhausgelände Leichen von Opfern des Diktators aufbewahrt. Niemand durfte darüber sprechen. Angestellte von früher berichteten, auch die Wächter, die vor der Kühlkammer standen, hätten dazu geschwiegen.
Im Oktober brachen die Revolutionstruppen die Tür auf. Sie fanden die Leichen von 16 Männern und einem Säugling. Ein Gerichtsmediziner stellte später fest, dass einige von ihnen bereits seit mehr als 25 Jahren tot waren.
Identifiziert wurde bisher nur einer der Toten, sagen die Männer, die im Leichenschauhaus arbeiten. Es ist ein Mann namens Mohammed Haschim al-Chodeiri, der nach Auskunft der Angestellten 1984 getötet worden war.
"Dar al-Rahma" - Haus der Barmherzigkeit - wird das Leichenschauhaus des Zentralkrankenhauses von Tripolis genannt. Doch wer den süßlichen Leichengeruch riecht, der durch die dunkle Tür im hinteren Gebäudeteil dringt, versteht, dass es nach Jahrzehnten der Brutalität und der Hartherzigkeit noch eine Weile dauern wird, bis das Prinzip der Barmherzigkeit hier Anwendung finden wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Missbrauch in der Antifa
„Wie alt warst du, als er dich angefasst hat?“
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima