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Schöner fauler Zauber

■ Ein Insider kritisiert die Werbeindustrie

Bitter beklagte sich kürzlich ein Manager der Werbeagentur Lintas gegenüber der 'Faz‘ über die Unbotmäßigkeit der neuen Zielgruppe, von der man sich doch so viel versprochen hatte: Von einem „Markenartikelbewußtsein im Sinne einer emotionalen Bindung zwischen Markt und Verbraucher“ könne in den Ländern der ehemaligen DDR überhaupt noch keine Rede sein, Markenartikel interessierten dort nur, „wo man eine technisch bessere Leistung glaubt“, ja, es mache sich sogar zunehmend eine Art „Reserve“ gegenüber Werbung generell, breit.

Schlechte Nachrichten, in der Tat, für eine Branche, deren Hauptaufgabe darin besteht, gleichen Waren mit großem Aufwand unterschiedlichen Auren auzudichten: 50 bis 80 Millionen D-Mark lassen es sich Firmen kosten, ein neues Produkt am Markt einzuführen, ein Produkt, das sich fast immer von dem der Konkurrenz in nichts unterscheidet.

Nur wenn es den beauftragten Werbefachleuten gelingt, der Ware menschliche, sympathische Züge zu verleihen, sie mit einem psychologischen Zusatznutzen zu versehen, wenn sie es also schaffen, einen Markenmythos um das Produkt zu bilden, wird es in den Hirnen der Konsumenten als besser, schöner, attraktiver haften bleiben. Wo aber niemand auf die Markenmärchen hereinfällt, können die Werber einpacken.

Ulrich Eicke rückt in seinem Buch Die Werbelawine diese zentrale Aufgabe moderner Werbung, den „exzentrischen Wortzauber mit semantischen Leerformeln“, in den Mittelpunkt seiner Kritik. Fast 40 Milliarden D-Mark setzte die Werbebranche 1990 um, rechnet man alle Ausgaben zusammen. 15 Milliarden D- Mark gingen davon auf die Konten der Medien, für Anzeigen, Rundfunkspots und Werbefilme. Wen wundert's daß eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Daseinsberechtigung der Werbung nirgendwo mehr stattfindet, daß Kritik sich reduziert auf Mäkeleien im Namen des St.Guten Geschmacks, etwa, wenn die Firma Benetton mit Grabkreuzen vom amerikanischen Heldenfriedhof auf sich aufmerksam macht. Wer wird schon kraftvoll zubeißen — in die Hand, die ihn füttert?

Um so interessanter, wenn dann einer eine Abrechnung mit seinem Berufsstand vorlegt, der selbst 38 Jahre lang in der Werbung tätig war. Eicke beschreibt die Werbeindustrie als eine Wirtschaftsmacht, die es seit ihren Neuanfängen nach dem Zweiten Weltkrieg geschickt verstanden hat, durch eine Mischung aus politischem Druck, Diffamierung ihrer Kritiker und vagen Selbstbeschränkungen die Einführung einer strengen Werbegesetzgebung oder die Einrichtung von Werbeaufsichtsämtern zu verhindern und die eigenen Einflußmöglichkeiten sukzessive auszudehnen. Eine jahrezehntelanger Kampf um Raum und Macht — derzeit vor allem geführt um die „Liberalisierung der Fernsehwerbung“, sprich die Ausweitung der Werbezeiten, die Möglichkeiten von Sendeunterbrechungen zu Werbezwecken und das Sponsoring ganzer Sendungen.

Für Eicke steht grundsätzlich fest, daß Werbung Verheerungen in den Köpfen anrichtet. Denn indem sie, wie eine Münchner Forschergruppe herausgefunden hat, schon Kindern einimpft, daß „Konsum reicher macht, daß Konsum sich zwanglos und bedienungsfrei entwickelt und daß Konsum Anerkennung bringt“, indem sie die allgemeine Entpolitisierung des Bewußtseins vorantreibe, erschwere sie jede Beschäftigung mit Nichtkommerziellem, Nichtbeworbenem, verhindere sie insbesondere eine Bewußtseinsänderung „vom Anspruchsdenken zur Verzichtbereitschaft, eine kopernikanische Wende zum Überleben der Menschheit“.

Eine Unmenge von Belegen hat Eicke für seine Bestandsaufnahme zusammengetragen. Er berichtet über das klammheimliche Geschäft des Productplacement in Film und Fernsehen, erzählt von Kultur- und Sportsponsoring, vom gern zitierten, aber nicht existierenden mündigen Konsumenten und beschreibt eindringlich, wie das geschlossene System, der Werbenutznießer — Industrie, Werbetreibende, Medien — das Bild vom Segensreichtum aller Werbung immer wieder aufpoliert.

Ist es aber nicht ein insgesamt zu düsteres, vereinfachendes Bild, das Eicke von der Macht der Werbung zeichnet? Wenn doch, wie er selbst schreibt, 98 Prozent aller Werbebotschaften wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen werden? Wie kommt es, daß trotz geballter Zigarettenwerbung die Zahl der Raucher abnimmt? Wird nicht vielleicht werberesistent, wer von Kind an mit Werbesignalen überschüttet wird? Die allumfassende bewußtseinsbildende Macht der Werbung — ist sie nur die Fiktion eines Mannes, der die heutige Welt nicht mehr versteht?

Antwort geben: die Lacoste- und Esprit-Hemden auf den Pausenhöfen der Gymnasien, der Siegeszug von Edel-Katzenfutter, die Verschuldungsraten deutscher Haushalte.

Und was die ehemalige DDR angeht: Viele Werbetreibende haben ihre Etats für die neuen Ländern um fünf bis zehn Prozent aufgestockt, „trotz vorhandener Unsicherheiten“. Damit die bald ausgeräumt sind, und auch dort aus Bürgern endlich Konsumenten werden. Karl Anton & Vororth

Ulrich Eicke: Die Werbelawine — Angriff auf unser Bewußtsein , Knesbeck & Schuler, 279 Seiten, 38D-Mark.

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