: Schöner arbeiten im Kraftwerk
■ Realistischer geht's nimmer: Die Bilder des Künstler-Kumpels Alfred Schmidt als Stilleben im Maschinenraum
Als vor knapp vier Jahren der neue und umstrittene Block 15 des Kohlekraftwerks Hastedt in Betrieb genommen wurde, gab's dort nicht nur einen Tag der offenen Tür, sondern auch eine Ausstellung. Gezeigt wurden, passend zum damaligen Anlaß, Bilder aus dem „Revier“: Kohlezeichnungen des Unter-Tage-Malers Alfred Schmidt, der seit mittlerweile fast 20 Jahren im Ruhrgebiet mit den Kumpels in die Zechen einfährt, um die Arbeit der Bergleute in meist akribischer Strichführung abzubilden. Was daraus entsteht, betrachtet er als „Kulturarbeit an der Basis“. Und deswegen zeigt er seine Bilder auch weniger in Museen und Galerien, als vielmehr bei Fahrten mit dem vollbepackten Handwagen durch die Straßen und über die Plätze des Ruhrgebiets. Warum also nicht auch dort, wo sein mittlerweile einziges Thema, die Kohle, letztendlich landet: im Heizkraftwerk. Auf Vermittlung eines Direktoriumsmit-gliedes der Ruhrkohle AG kam er also im September '90 das erste Mal mit einer Auswahl seiner Zeichnungen wahrhaftig nach Bremen geschippert, ganz stilecht auf einem Kohlefrachter.
Jetzt, dreieinhalb Jahre danach, hängen wieder einige seiner „Bilder vom Bergbau“ im Hastedter Kraftwerk. Diesmal auf Dauer, damit die Kraftwerker nicht vergessen, wie und wo die Kohle eigentlich gefördert wird, von der sie hier in Bremen etwa 850 Tonnen täglich zu Strom und Fernwärme verheizen. Schließlich bezieht das Kraftwerk seinen Brennstoff ausschließlich aus dem Ruhrgebiet und sichert so, über den berühmten Kohlepfennig, indirekt –zumindest bis heute – die Existenz derjenigen Bergleute, die in den wenigen Zechen arbeiten, die sich noch in Betrieb befinden .
Mit den Bildern des Künstler-Kumpels Alfred Schmidt soll nun der Solidaritätsgedanke so richtig zu Tage zu gefördert werden, sozusagen als flankierende Maßnahme für das Wir-Gefühl zwischen Berg- und Kraftwerkern.
Vom Ruhrpott-Künstler den Stadtwerken Bremen überlassen, hängen die Ansichten von Flözen, Maschinen und kohleverstaubten Grubenarbeitern also jetzt zwischen den cleanen Maschinen der Hastedter Energieerzeugungsanlage, damit die Menschen am Ende des Weges, den die Kohle nimmt, auch den Anfang nicht aus dem Blick verlieren.
An sich ist es ja keine schlechte Idee, diese ganzheitliche Sicht mitten in der Entfremdung der Arbeit. Nur einen Haken hat die Sache. Im Maschinenhaus, wo die meisten von Schmidts Bildern platziert sind, arbeitet im Zeitalter der Automation leider niemand mehr. Zumindest nicht im normalen Routinebetrieb. Lediglich für kurze Kontrollgänge oder im Störungsfall kommen Menschen vorbei – aber die haben dann ihre Augen ohnehin woanders.
Da blicken nun also weniger die Menschen, als vielmehr die Maschinen aus dem Kraftwerk ihre Kollegen aus dem Bergwerk an, und von der Begegnung der Arbeiter an den beiden Enden des Kohlewegs bleibt eiqentlich nur die Idee übrig. Auf diese Weise wird aus den Zeichnungen des Alfred Schmidt, die samt und sonders ganz im traditionellen Formenrepertoire realistischer Abbildung verbleiben, unversehens so etwas wie eine der rein abstrakten Idee verpflichtete Konzeptkunst.
Es gäbe nur einen Ausweg aus diesem Dilemma: Wenn die Öffentlichkeit die Möglichkeit wahrnähme, bei Führungen durch das Kraftwerk die Bilder in Augenschein zu nehmen. Oder wenn die Belegschaft ihre Pausen tatsächlich nutzen würde und die Zeichnungen – wie der Ingenieur Stephan Krämer hofft – an ihrem Arbeitsplatz nicht nur als Dekoration betrachtet, sondern als einen Anlaß, über Energiegewinnung, Kohle, Solidarität und Kunst einmal mehr nachzudenken.
Moritz Wecker
Bilder vom Bergbau: Stadtwerke, Kraftwerk Hastedter Osterdeich
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